83 Es ist gut, wie es ist

83 Es ist gut, wie es ist

München, Mai 2019.

„Sag mal,“ Stefanies Miene wird ernst. „möchtest du vielleicht ein Pferd?“

Hä?? Blitzschnell rattern sämtliche – spärliche – Pferdeerlebnisse mir durch den Kopf: Grashalm-Fütterungen über Elektrozäune hinweg im Kindergartenalter, im Mini-Kreis-Schunkeln auf Jahrmärkten, ein paar Ausflüge zu einem nahe gelegenen Reiterhof (die abrupt mit zwölf endeten, als einer der Gäule mit mir auf dem Rücken durchging), ein letzter Versuch dann ein Jahrzehnt später im Verlauf der Südamerikareise, wo eine klapprige, ständig pfurzende Mähre unter meinem Gewicht litt und regelmäßig stolperte, sodaß ich befürchtete, während eines eventuellen Sturzes die seitlichen Hangkanten hinab von dem Vieh erschlagen zu werden im Heiligen Tal Perus. Schließlich noch all die Wendy-Comics, die ich als Grundschulmädchen geschmökert und abgezeichnet hatte, wenn man das als Berührungspunkt überhaupt nennen darf.

„Ja, weißt du, die Besitzerin des Stalls, in dem mein Hengst untergebracht ist, nimmt regelmäßig mißhandelte Pferde auf. Aktuell zwei Ponys aus Irland – eines davon habe ich abgelöst gegen die bisherigen Tierarzt-, Pflege-, Versorgungskosten in Höhe von 1400 Euro, aber das andere sucht noch einen netten Menschen.“

Aha. Auf gar keinen Fall. Solch eine absurde Idee! Was soll ich denn bitte schön mit einem Pferd? Blödsinn. Noch in der Sekunde der ausklingenden Frage war diese entschieden, negativ. Trotzdem verabredeten Stefanie und ich uns auf einen Spaziergang mit ihren Pferden, die sie aus Tierschutzgründen nicht reitet, sondern zur Bewegung am Strick führt wie eine riesen Riesendogge.

Ich erledigte in den Wochen zwischen unseren Treffen den Haushalt, richtete den Balkon mit ersten Pflanzen her (Stiefmütterchen und Kräuter jedweder Art), tippte am Computer, machte mein Yoga, joggte durch den Wald. Irgendwann während dieser üblichen, gewohnheitsmäßigen Handlungen schlich sich zart und leise ein Gedankenfetzen ein, den ich zunächst nicht recht zu fassen kriegte, der anklopfte, um sich hernach zu verstecken, der auftauchte und verschwand wie in einem mentalen Versteckspiel zwischen mir und dem Unterbewußtsein. Ich sah die weißen Schleier der Buschwindröschen unter den Buchenstämmen kommen und gehen, sah die violetten Veilchenteppiche aufblühen und verwelken, sah das Sternenuniversum des Sauerklees blinken und erlöschen, bis es plötzlich ganz glasklar vor mir stand, das: Warum eigentlich nicht? Woher rührte die sofortige Gewißheit, noch bevor Stefanie ausgesprochen hatte, daß ich dieses Pony nicht aufnehmen, mich nicht um es kümmern würde? Wer hatte das entschieden in mir, war ich das gewesen, oder mein Umfeld, oder ein altes überholtes Selbst? Trug ich mich schließlich seit längerem mit der Idee, mir einen eigenen Hund anzuschaffen, Hühner im Garten zuzulegen. Wut und Trotz stiegen in mir auf, eine innere Rebellion war angezettelt.

„Darüber brauchst du dir keine Gedanken mehr zu machen!“ rief Stefanie fröhlich. „Das andere Pony habe auch ich genommen. In unserem neuen zu Hause in Brandenburg ist genug Platz für drei Tiere, mein Freund war gleich einverstanden damit.“

Bei den Ponys handelt es sich wohl um Irish Tinker, das eine weiß-grau, das andere dunkelbraun-weiß gescheckt und beide mit dem absolut entzückenden „Kaiser-Wilhelm-Bart“ auf der Oberlippe ausgestattet, so als habe man dort eine kleine Scheuerbürste angebracht, wirklich goldig.

Wir flanierten an einem schmalen Bächlein entlang über die Äcker, am Horizont die bekannten Ortschaften der Heimat, bummelten einen Hügel hinauf und auf der anderen Seite wieder hinunter, kamen an einem alten, nur teils abgeernteten Rosenkohlfeld vorüber, aus dem heraus ein Feldhase davonhoppelte, als er uns entdeckte. Später wurde das Fell der Pferde gebürstet und gegen die Milben vorsorglich mit einer Lavendel-Teebaumöl-Tinktur besprüht, Stroh zur Fütterung gestopft, Möhren verteilt, Wasser in Gießkannen herbeigeschleppt. Als wir die Pferdeäpfel aufsammelten – sie werden mit einer Handharke bückend auf eine Art Schaufel gefegt und dann in den Schubkarren gekippt, welcher schlußendlich auf dem Misthaufen entleert wird -, schweigend, über uns der berstend blaue bayerische Landhimmel, um uns herum behagliche Stille, die Pferde satt, zufrieden, schläfrig, überfiel mich eine innere Ruhe, wie ich sie lange nicht empfunden hatte. In meinem nie versiegenden Gedankenstrom formierte sich die Gewißheit, daß man in einem solchen beglückenden Zustand nicht nach dem Sinn des Lebens, nach seinem eigenen Daseinszweck oder irgendeinem Warum zu fragen braucht, sondern daß man einfach sein darf und es gut ist, wie es ist. „Das sollte ich aber nicht laut aussprechen.“ ermahnte ich mich selbst. „Sonst halten sie dich vollends für verrückt!“

In genau diesem Moment sagte Stefanie in das minutenlange Schweigen hinein: „Ich weiß, daß das jetzt doof klingt, aber Pferdeäpfel sammeln entspannt mich immer total!“

Wir lachten herzlich und lange, als ich ihr gestand, was ich selbst gerade an Monolog gewälzt hatte.

Nach der Arbeit, kurz vor dem Verabschieden, saßen wir noch ein Weilchen zusammen. Gemeinsam beobachteten wir die Milane hoch in der Luft, lauschten den Rufen der Falken, studierten die Linien der alten Gehöftbäume, wanderten mit den Blicken nochmals über die Felder, reckten die Gesichter in die Frühlingssonne. Eines der Ponys lag ausgestreckt am Boden und träumte. Diese „Reise“ hatte fünf Fahrrad-Kilometer von meiner Haustüre entfernt stattgefunden und nichts gekostet als ein paar Stunden Zeit. Einzig ein Stückchen frischen, duftenden Apfelkuchens vermißte ich in diesem Idyll, aber ein Hauch Wehmut würzt das Leben.

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