253 Spritztour

253 Spritztour

München, Juni 2023.

Zu behaupten, Kaufen sei bei uns daheim verpönt, wäre definitiv eine Untertreibung, da Kaufen ein Synonym ist für Geld ausgeben, was wiederum einem Sakrileg gleichkommt, oder eher noch einer Todsünde. Als ich nach wochenlangem innerlichen Ringen letzten Spätsommer den button „Buy“ klickte, tat ich es folglich mit immens schlechtem Gewissen, denn was bitte sehr nützte eine unheimlich schicke, supercoole, lederne Bikerjacke (schwarz mit Gürtel und abgesetzten Säumen in Türkis und Orange) vom online Second Hand, wenn man einen (ok: sportlich geschnittenen) Kombi fuhr? Auch die Vorbesitzerin hatte sich offensichtlich mit dem gleichen Problem konfrontiert gesehen, denn das flotte Designerteil war niegelnagelneu und quasi ungetragen bei mir eingetroffen. Jetzt ist es so, daß selbst solche nebensächlichen Oberflächlichkeiten wie der Erwerb einer irrwitzigen Klamotte Konsequenzen nachsichziehen können, von denen man anfangs nicht einmal geahnt hatte.  Auf dem Herbst Oldtimerfestival hielten mich alle für eine Rockerbraut – die angesponnenen Gespräche mußte ich aufgrund meines Unwissens verlegen lächelnd abwiegeln – ein Motorrad? Nicht einmal auf einem draufgehockt, bisher! – Enttäuschung. Und plötzlich kam mir die Frage einer früheren Bekannten in den Sinn, diese eine Frage, über die ich mit dickem Hoppla gestolpert war, ob ich nicht zufällig ein Pferd wolle; woraufhin ich als Impuls gedacht hatte: wie absurd (vgl. Beitrag 83)! Nur um mich selbst erstmals darauf zu stoßen, wer eigentlich die sofortige festzementierte Antwort geliefert hatte: die Eltern? Freunde? Nachbarn? Oder tatsächlich ich? Schlüsselmoment nennt man das wohl. Das Nein als PreSet.

Die ersten zehn Kilometer kriegte mein vierundzwanzigjähriges Alter Ego Gelegenheit, sich zu melden. Mit vierundzwanzig hatte ich mit dem Reisen angefangen und damit, mich zu emanzipieren von Konventionen, die nicht mehr paßten bzw. nie gepaßt hatten. Das tut man nicht heldenhaft im freien Fall, sondern schrittweise und mit mächtig viel – sorry – Schiß. Aber dann, nach einer brav genommenen Kurve, die mich trotzdem ins Schwitzen brachte, raste ein Feldhase vom bestellten Acker über die Teerstraße weg in den gegenüberliegenden grünen Wiesenrain. Er sauste wie der Wind, Haken schlagend, die Hinterbeine fast unter dem Kinn, einen ganz engen Halbkreis umschreibend, und von da an war die leise Furcht verschwunden, meine Muskeln taten automatisch das Richtige und ich vergaß das Geplapper in meinem Kopf über Fliehkräfte und physikalische Theorieskizzen, wobei lediglich das Staunen übrigblieb, jenes Staunen der Vierundzwanzigjährigen, die sich wiederholt darüber wunderte, wie es sein könne, daß sie vierzehn Jahre später auf einer ziemlich (um genau zu sein: absolut) bequemen Maschine durch die Gegend kutschiert wurde bis über die österreichische Grenze; und zwar auch nur, weil sie im August des Vorjahres eine Vulkan-Foto-Reise nach Sizilien gebucht hatte – sonderbare Verwicklungen…

Unerhört laute Farbkaskaden aus stechendem Gelb: Goldregenbäume; und das Pendent in Zartviolett: Schuppen, Fassaden, Dächer voller Blauregenranken, opulent, verschwenderisch, wunderschön. Kastanien – in Bayern Sinnbild für Lebensfreude, Geselligkeit, Gemütlichkeit – in roten oder weißen Kerzen; in den bäuerlichen Vorgärten lachsfarbene Lupinen, Artischockenblätter, Flockenblumen, scharrende Hühner. Und in den Ammergauer Alpen – ein fantastisches Fleckchen Erde – ein Meer aus blühenden Graswolken, pinken Lichtnelken, zartrosa Knöterichen, heiteren Ochsenaugen, – – – mitten im Botanisieren werde ich nach hinten gerissen, die einzelnen Pflänzchen verwischen zu einer Farbschliere, der Motor dröhnt, schwups, vorbei am PKW, ich kralle mich in die Griffe, Überholvorgang beendet. Ich beschließe, fortan etwas mehr auf die Verkehrslage zu achten und mich weniger in Artenbestimmung zu üben. Dafür werden wir am Parkplatz der Rast am Plansee belohnt mit einer Stelle aus etwa fünf schneeweißen, hohen Waldvögelein, wilden Orchideen, auch sie tragen Helm. Wir finden ein kupfernes, kleines Geldstück: ein US-amerikanischer Cent, mitten in der Pampa.

Ein winziges Marterl in Miniaturkapellenform, die Decke gewölbt und gefaßt, ein Lämmchen erkenne ich auf der Malerei, dann ist es schon verschwunden. Auf den Weiden zwischen den Butterblumen äsende Kühe. Am Straßenrand wippt der Salbei und woanders Esparsette. An der Friedhofsmauer eine Gruppe schwarz gewandeter Menschen, Gäste einer Beerdigung, plaudernd, pralles Sonnenscheinwetter für ein letztes Adieu; auf der Kirchturmspitze steht im gewaltigen Nest der Storch, Abschied und Geburt, so ist das. Es werden neue Markierungen auf die Fahrbahn angebracht – da riecht es chemisch-süß nach Farbe. Die Wiesen sind teils geschnitten: Heuduft tätschelt die Nase. Schwaden von Holunder wehen heran oder auch einmal der frische Misthaufen. Die Flüsse ziehen vorüber in kostbarem milchblau, eine Nuance bezaubernd und geheimnisvoll, die gekiesten Bachbetten grüßen lockend, sie zu erkunden.

Ich versuche, meine Erheiterung in Zaum zu halten. Aber es ist einfach zu komisch! Liegt am Boden neben der Maschine, um einen „Erste-Hilfe-Schaum“ in den Reifen zu pumpen, der sich unterwegs einen gravierenden Platten geholt hatte, sodaß wir mit bis zu 0,7 bar (von ursprünglich idealen 2,9) Restdruck heimwärts gegondelt waren, als Mitfahrer übrigens durchaus vergnüglich, das gemächliche Cruisen. Natürlich bin ich nicht schadenfreudig veranlagt! Aber oberhalb neben der stattfindenden „Reifenrettungsaktion“ prangt eine Motorradclubplakette, der Slogan: Where the ride never ends… Wäre garantiert ein herrliches Foto geworden, aber es hätte den Bogen wohl etwas überspannt; wobei Michael Martins Vorträge etwa ja genau davon leben: von der Dokumentation dessen, was gerade nicht so rund läuft. Wir sind aber beide nicht Michael Martin und tuckern schlußendlich sicher nach Hause, ganz ohne Beweismaterial; an schöne Stunden erinnert man sich auch so.

2 Antworten

  1. Ralf sagt:

    Hallo Rockerbraut! (…oder zumindest bist du jetzt dem Titel schon ein ganzes Stück näher). Erstaunlich, was du alles während der Fahrt noch botanisch bestimmen konntest. Dann war die Geschwindigkeit doch so anständig gewählt, dass nicht grundsätzlich alles zu Schlieren verkommen ist. Und einem platten Reifen kannst du noch so viel Erheiterung abgewinnen. Da bin ich mindesten auch gleich im selbigen Zustand – nein, es freut mich natürlich, dass du dich von solchen Ereignissen nicht von guter Laune abhalten lässt. Immerhin hat uns der Regen am Plansee einen ausgiebigen Plausch beschert. Also, lass es mich wissen, wenn dir wieder mal nach einer botanischen Schnellbestimmungsfahrt ist – where the ride never ends.

    • Laura sagt:

      Du sagst es: where the ride never ends! ;o) Habe mich schon über die Bestimmungen/Voraussetzungen von A1 informiert ;o) Danke für den schönen Tag – auch wenn mich Montana seitdem wie ein Schatten begleitet und mich keine Minute aus den Augen läßt… „Entführung“ des Frauchens auf dem Motorrad, so viele Stunden lang – das war wohl ein Ticken zu traumatisch für mein Sensibelchen…

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