49, Teil II: Warum man beim Zähneputzen die Stirnlampe einschalten sollte

49, Teil II: Warum man beim Zähneputzen die Stirnlampe einschalten sollte

Soqotra/ Jemen, März 2014.

Eine ansehnliche Gruppe Scharbenvögel, bestimmt dreißig, vierzig Stück, flüchtete vor unserem Boot, Seeschwalben kuckten uns verdutzt hinterher, während das Meer ruhig und glasklar ausgebreitet dalag, seine Farbe beinahe unnatürlich, als kreuzten wir einen überdimensionalen Pool. Hunderte Rochen ruhten am Grund. Der Motor dröhnte, röhrte, ein Krach ohnegleichen. Plötzlich schossen sie ohne Vorankündigung an uns heran. Es war eine riesige Schule von gut hundert Tieren, so weit das Auge reichte, Delphine! Die Jungen hüpften aus den Fluten, schlugen mit dem Rücken auf, drehten Pirouetten oder vollführten Saltos. Die Mütter pflügten elegant, behände buckelnd durch das Gewässer. Sie tauchten unter unser Boot hindurch, umkreisten uns, satt und zufrieden, wie uns der immer noch gewaltige Rest eines Sardinenschwarmes verriet, eine dunkelblaue gigantische Kugel aus platschenden Silberleibern.

Ich mag dieses Gefühl von Abend, wenn man den Campgrund erreicht und sein Zelt errichtet hat, seine Siebensachen sortiert, sich frisch gemacht mit etwas Wasser in einer Plastikschüssel und Feuchttüchern, wenn der Körper noch von den Anstrengungen des Tages, der Wanderung in glühender Sonne, vibriert und zugleich schon in den Erholungsmodus schaltet; wenn man Zeit hat, in den letzten Strahlen der nun erträglichen Sonne umherzuflanieren, sich Pflanzen, Gestein, die Umgebung zu besehen, während die Köche der Begleitmannschaft mit dem Metallgeschirr klappern und den Gemüsereis auf offener Flamme zubereiten und die Schatten über dem Gelände immer länger werden. Es herrscht eine solch friedvolle Atmosphäre, zufrieden, leise. Manche lesen, andere plaudern, wieder einer sinniert in seinem Klappstuhl vor sich hin oder notiert in sein Tourenbuch. Man setzt sich zusammen, im Kreis um das Lagerfeuer herum, die ausgeschalteten Stirnlampen am Kopf, die warme Mahlzeit genießend, den heißen Tee. Erste Sterne blinken auf, Dunkelheit breitet sich aus wie ein blausamtenes Tuch, alles und jeden tröstlich umhüllend. Es riecht nach Holzrauch, die Scheite knacken. Bevor man sich zum Schlafen zurückzieht, bleibt einem schließlich nur noch das Zähneputzen.

Es war eine jener Dunkelheiten, die man in Deutschland kaum kennt. Düster ohne Finsternis, ein fahler Widerschein, mal grünlich-gelb, mal bläulich-violett, vom Boden reflektiert. Man ahnt die Dinge, weiß sie da und dort, ohne wirklich Einzelheiten ausmachen zu können. Ich schnappte mir Trinkflasche, Zahnbürste, -pasta, entfernte mich vom Zelt, das übrigens meist abseits der anderen steht, am Rand des Lagers, leicht separiert. Ich genoß den großen, vollen Mond am Himmel über mir, die Nachtluft, die auf Soqotra nicht kühl ist, bloß eben nicht flirrend-heiß, spürte sanften Lufthauch über mein Haar streichen, lauschte den Geräuschen: meine Schritte auf dem klimpernden, Stein übersäten Grund, schläfriges Zirpen unsichtbarer Insekten, das Gemurmel der anderen ein paar hundert Meter weiter hinten. Ich stieg über trockene Gräser und niedriges Gesträuch hinweg, hielt inne, fing an, mir die Zähne zu putzen, mich dabei immer wieder umschauend, die letzten Eindrücke dieses Tages in mich aufnehmend, Düfte, Laute, Windschwingungen, die Bergsilhouetten. Ich erinnerte mich der überraschenden Abbruchkanten und wollte wissen, wo eigentlich die nächste solche sich befand. Ich langte ohne die Zahnpflege zu unterbrechen mit der anderen Hand an die Stirnlampe und knipste sie an. Nicht einmal achtzig Zentimeter vor mir auf Augenhöhe hockte eine männerfaustgroße, schwarz-weiß gestreifte Spinne im größten Radnetz, das ich jemals gesehen hatte.

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