13 Zwischenmenschliches auf einer Kunstmesse

13 Zwischenmenschliches auf einer Kunstmesse

München, Oktober 2010.

Mein Chef hatte sich beschwert, daß der Name auf dem Messeschild seines Standes inkorrekt gedruckt worden war, Huber statt Hubert. Es war sieben Uhr morgens, in weniger als zwölf Stunden sollte die Vernissage der Antiquitätentage stattfinden. Hektische Betriebsamkeit, laute Aufbaumaßnahmen, Hämmern, Sägen, Bohren, Kisten, die herumgeschleppt wurden, kündeten von der Eile, die geboten war, denn es mußte perfekt aussehen, wenn die ersten Kunden ihre Champagnergläser von den dargereichten Tabletts heben würden. Ich war dabei, als Herr Hubert den Veranstalter in schickem Anzug, geschniegelt und gestriegelt, parfümiert und pomadiert darauf aufmerksam machte, daß er bei den gezahlten 25.000 Euro Messegebühr doch erwarten dürfe, einen richtig geschriebenen Namen am Standschild prangen zu sehen. Der wie für einen Ball zurechtgemachte Veranstalter näherte sich meinem Chef. Packte ihn am Hemdskragen, zog ihn in die Höhe, ihm dabei den Atem abschnürend und grollte tief wie ein tollwütiger Hund: „Ich denke nicht, daß es hier Beanstandungen gibt. Oder?“

 

Dezentes Gezwitscher perlte von der Decke herab, Windraunen, das Pochen eines Spechtes. Die zu üppigen Pyramiden aufgeschichteten Orchideen versprühten ein Flair der Unantastbarkeit. Es war stickig, die Luft roch nach trockenem Staub, stand im Kontrast zur heiteren Lebendigkeit der Vogelgesänge. Ich putzte zum x-ten Mal die Vitrinen, Glasflächen, Chromleisten. Nach jedem Kundenbesuch entfernte ich möglichst diskret die hinterlassenen Fingertapsen, manchmal gar ganze Handabdrücke. Die Mondsteine waren offensichtlich die heurigen Favoriten, dort war ich besonders oft im Einsatz. Ich hatte mein Studium der Kunstgeschichte frisch abgeschlossen, einen kleinen Job im Rahmen der Antiquitätenmesse ergattert. Als Schmuckhistorikerin mit Schwerpunkt auf Pretiosen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts eigentlich eine fantastische Stelle, denn ich war umgeben von delikat gearbeiteten, das Auge erfreuenden Schätzen des Goldschmiede- und Juwelen-Handwerks. Freilich gehörte ein tadelloser Stand zur Repräsentation dazu, aber es drängte mich, mein Wissen über die kulturellen Hintergründe an die Kunden weiterzugeben, sie zu beraten in stilistischer Hinsicht. Stattdessen war ich selbst lebendiges Inventar mit dem einzigen Daseinszweck, das Glas makellos zu halten und die zur Anprobe herausgereichten Stücke wieder an ihren Platz in die Vitrinen zu räumen.

Der Chef war zum Mittagspeisen ins Catering-Bistro der Messe gegangen. Um diese Zeit herrschte stets eine kleine Flaute auf dem Messegelände. Die Händler lasen Zeitung, scrollten über ihre i-Pads, plauderten leise mit der Konkurrenz.

Eine Dame in den Vierzigern trat an mich heran, ich grüßte sie freundlich. Sie trug einen farbenfrohen Blazer, den man unverkennbar einer Trendmarke zuordnen konnte. Sie war etwas füllig, das Make-Up leicht verschmiert, das lockige Haar wirkte zerzaust. Der Blazer war das mit Abstand eleganteste an dieser Person, die sonst eher gewöhnlich anmutete. Dankbar über die Abwechslung vom mich langweilenden Vogelkonzert in Dauerschleife – die Tonfolgen dauerten etwa zehn Minuten, um hernach von vorne zu beginnen, das Spechtklopfen zeigte die Halbzeit an -, wandte ich mich der Frau mit charmanten Lächeln zu.

„Sie tragen aber einen außergewöhnlichen Blazer! Viele Menschen neigen eher zu Schwarz, Anthrazit, Royalblau.“

„Ja, ist das nicht schrecklich!“ sprang die potentielle Kundin sogleich darauf an. „Ich kann das nicht mehr sehen, dieses Triste!“ Ihre Stimme war eindeutig zu laut und zu theatralisch, Besucher am Rokokoporzellan gegenüber drehten sich ebenso um zu uns, wie jene der baktrischen Altertümer schräg links von uns, teils erstaunt, teils erzürnt.

Um einiges leiser versuchte ich, die Dame in andere Richtungen zu lenken: „Oh, Ihnen steht das Farbenfrohe! Zu diesem Blazer würden hervorragend die opulenten Citrinhänger hier passen…“ Meine Geste – ich wollte gerade auf den gemeinten Ohrschmuck deuten – erstarb mitten in der Bewegung, als die Frau rasch wie weiterhin laut entgegnete: „Ja, ich habe Geschmack. Wenn ich Sie da ansehe, also diese Bluse, die würde ich ja nicht mal gebraucht auf dem Flohmarkt kaufen!“

Ich stockte kurz, weiterhin lächelnd. „Oh, wirklich?“ flötete ich, so als habe sie mir ein Kompliment gemacht und keine Beleidigung an den Kopf geworfen.

„Ja!“ Eifrig nickte sie, strahlte mich fröhlich an. „Keine fünf Euro würde ich dafür ausgeben!“

Ich schluckte. „Dafür sehen Sie ganz bezaubernd aus in diesem Blazer. Absolut fabelhaft! Aber Sie könnten vielleicht ihren Hals noch etwas betonen. Ich hätte da ein entzückendes, hellblaues Emailcollier mit Topazbesatz…“

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