12 Ein Greenpeace-Vortrag verwandelt mich in einen Pinguin

12 Ein Greenpeace-Vortrag verwandelt mich in einen Pinguin

Mannheim, Februar 2017.

Ich entfloh dem Valentinstag, indem ich in einer anderen Stadt einem Greenpeace-Vortrag lauschte. Dem Redner schrieb ich als Resonanz noch in der Nacht auf dem Hotelzimmer eine längere Nachricht.

>> Dies ist das Stück von der anderen Seite. Von dem verschwommenen Punkt, dem vagen Gesichtermeer im Halbdüster, der einheitlichen Masse, die manchmal lacht und manchmal raunt, hier und da hüstelt, sich räuspert, auch zuweilen niest und Laute des Erstaunens, der Faszination oder der Schockiertheit von sich gibt. Menschen, die in der Pause aus dem Saal rauschen, plaudernd, hin zur Toilette oder an die Schlange vor der Erfrischungstheke heran, die Auslagen an Broschüren und Kalendern umringen, zu gegebener Zeit zurückströmen; es mögen manche sich herausschälen aus dem belebten Einerlei, auftreten, an den Redner heran, Fragen an ihn richtend oder Anmerkungen, eine Szene stumm und still für den Rest auf seinen Plätzen, der es gewahrt oder nicht.

Der begeisterte Bub mit dem Freudenfeuer im Gesicht, angesteckt vom Abenteuer unter Wasser, der aufwendigen Ausrüstung, den fernen Tieren und ruhenden Wracks. Die schüchterne, hübsche Studentin, die ihren Mut zusammennimmt und tatsächlich Worte findet und Antwort. Der interessierte Pensionär, der den Kontakt sucht, von Neugierde und Eifer getrieben oder einfach aus der Laune heraus.

Die Luft riecht nach Universität, nach Papier und leicht abgestanden, nicht unangenehm, irgendwie an Gelehrsamkeit erinnernd und an Zeiten, die man genossen hat, vorüber, passé, abgeschlossen. Die ockergelben, vielleicht auch orangenen, wer weiß das schon noch so genau,  Klappolstersitze könnten einem Kleinkino der späten Sechziger, Siebziger Jahre entstammen, die Dänen würden es hyggelig nennen, Neureiche angestaubt. Ringsumher begrüßt man sich, Freunde fallen einander in die Arme, Kumpel klopfen sich auf die Schulter, es herrscht Bienenschwarmgemurmel, gedämpft-heitere Gelassenheit. Du auch hier?, hört man, Wie schön, daß es geklappt hat! und Da bin ich aber mal gespannt jetzt!“ Ein Baby maunzt. Kinder trappeln hin und her, ihre kleinen, schnellen Schritte ein dumpfes Klopfen auf dem Boden. Der Redner steht gelegentlich an der Tür, das musternd, was in Kürze das lauschende Publikum sein wird, die Arme verschränkt, der Blick ernst. Wird er sich füllen, der Saal? Stimmt die Technik?

Sich unsichtbar machen, verschmelzen, das sein, was man hier ist: ein Gesicht ohne Züge, nicht konkret wahrgenommen und daher in der Gegenwart vergessen. Nicht auffallen. Warum auch? Der Redner zählt; ansonsten existieren keine Individuen jetzt, nur die Menge im zerzausten Dunkel, ähnlich einem verschatteten Wald oder tiefem, vagen Wasser. So funktioniert es, eine alte, bewährte Form der Kommunikation, Wissensweitergabe, Zerstreuung. Der Redner wirkt ein auf das Publikum. Das Publikum applaudiert. Ein paar Statisten noch, der Bub, die Studentin, der Rentner. Eine gute Stimmung, eine angenehme, aufnahmebereite Hörerschaft, geweckte Aufmerksamkeit für die Greenpeace´schen  Tätigkeiten.

Ein Blatt recycelter Zellulose mit Druckerschwärze, eine unscheinbare Anzeige im dünnen Berichtmagazin, durchgeblättert bei einer Tasse Kaffee. Leidenschaft Ozean.

Die Fotografien nun, die Motive, die zum besten gegebenen Anekdoten sind so schön, daß es einem das Herz zerreißt. Der Körper sitzt ruhig, der Rücken gerade, die Beine brav übereinandergeschlagen, das Gesicht unbewegt im warmen Finster, einer fremden Stimme lauschend, fremde Bilder aufnehmend, für zwei Stunden mit fremdem Leben in Kontakt kommend voller Technik, Ausrüstung, Planung, Professionalität, Exotik, äußerlich also sich gehörig benehmend, angemessen, während im Inneren ein Sturm tobt, der einen durcheinanderwirbelt, an die eigenen Grenzen bringt, emotional, moralisch. Darf man denn derart anspringen auf Worte eines Vortrages? Darf man Neid empfinden? Die eigene Unzulänglichkeit? Das persönliche Versagen, nicht eigenen Träumen nachgespürt zu sein, dafür gekämpft, gearbeitet zu haben? Darf man während einer Aufklärungsarbeit über die vom Menschen verursachten – uns verursachten – Mißstände in der Tier- und Pflanzenwelt nachdenken über den Wert eines Individuums im Publikum – man selbst? Sollte man sich nicht schämen, im Dschungel des Egozentrismus verloren zu gehen, in Konfrontation mit Persönlichkeiten, die gerade vermitteln, was sie mit Fleiß, Zusammenhalt, Strebsamkeit, Energie und Feuer allen Widrigkeiten und Rückschlägen zum Trotz leisten und dabei zusätzlich an Kunstform pflegen? Manchmal, da wird man ganz klein. Da fühlt man seine eigene Unbedeutendheit ganz klar und scharfkantig, ungeschminkt. Begreift man die begangenen Fehler, die einen in die verkehrte Richtung gewiesen haben. Und dann siehst du diese umwerfende Aufnahme, siehst du eine Pinguinkolonie von Tausenden und aber Tausenden Wesen, siehst das Weiß und Schwarz, das leuchtende Orange, die grauen Flaumflaschen, siehst nicht eines, siehst alle, auch wenn dein Blick wandert, du nimmst nie konkret ein einzelnes Tier wahr, behältst es zumindest nicht in Erinnerung, aber die Kolonie, die siehst du, die merkst du dir, die beeindruckt dich, bricht dir mit einer gewaltigen Präsenz entgegen wie ein Farb-Form-Struktur-Konzert. Und du begreifst: so bist du auch. Du bist nicht das Junge in der zwölften Reihen links oben, Platz Nummer 83 oder Besucher XX da und dort, nein, du bist das Publikum. Nur ein verschwommenes, vages Gesicht im heiter-ehrfürchtigen Geraune, gewiß; eines von vielen, zig Hunderten, Tausenden, bist die Zuhörerschaft, Adressat. Du bist die andere Seite. Ein mikroskopisch kleiner Teil davon. <<

Ich schickte die Zeilen nicht ab. Stattdessen kontaktierte ich den Redner, um Abzüge zwei seiner Bilder zu bestellen, die mich am meisten berührt hatten, das Portrait eines tasmanischen Teufels und der Schemen eines Tauchers in einer riesigen, blau gefluteten Höhle. Beides ließ ich auf feinstes Büttenpapier drucken und edel in Holz rahmen. Ich strich eine der Flurflächen in einem Farrow & Ball – Ton, arrangierte die Fotos mit einigen meiner eigenen zu einem stimmigen Werk. Auf diese Weise erkannte ich mir selbst Wert zu. Meine Aufnahmen wurden ebenbürtig mit denjenigen des Erfolgreichen, Bewunderten. Zumindest dort auf der Wand meiner Wohnung.

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