67, Teil IV: Verschwiegener Basilisk

67, Teil IV: Verschwiegener Basilisk

Costa Rica, August 2014.

In La Fortuna auf dem gepflasterten rechteckigen Platz steht an den Rand gedrängt ein Baum, der jeden Abend explodiert. Wenn die Sonne allmählich hinter den hübschen, säumenden Fassadenzügen verschwindet, beginnt das faszinierende Treiben: es erklingt üppiges, aufgebrachtes, zeterndes Geschrei, wenn Hunderte und Aberhunderte schwarzer Vögel nach und nach in die dichte, eng belaubte Krone huschen, mehr und immer noch mehr Vögel, sodaß das Geäst unsichtbar wird vor lauter Federleibern. Es dröhnt und kreischt, zwei Minuten lang, fünf, zehn… Ich konnte nicht vorübergehen, war gebannt von dem lautstarken Spektakel. Der Baum, die Pflanze, war mit den Vögeln verschmolzen zu einer neuen Spezies, umschlang  den Schwarm, absorbierte ihn. Wenn es mit dem Dunkeln endlich ruhig wurde in ihm, hatte er sich in eine Märchengestalt verwandelt, ein schlummerndes, sagenhaftes Geschöpf.

Es schüttete wie aus Eimern. Ein Gewitter war aufgezogen. Ich wollte eigentlich zu den nahen Wasserfällen spazieren, doch das ohrenbetäubende Krachen und grelle Zucken am Himmel ließen mich zunächst in den modernen Supermarkt flüchten, wo ich mich ohnehin noch mit Getränken hatte versorgen wollen für meinen Ausflug. Ich würde dort abwarten, bis das Gröbste vorüber war und dann trotz flutender Schleusen weitermarschieren, schließlich hatte ich einen ordentlichen Wetterschutz im Rucksack. Ich stand an der Kasse, vor mir ein paar plaudernde Damen, die Kassiererin schäkerte mit einer Kundin, als es plötzlich donnerte, als zerreiße es die Hemisphäre, weißes, gelblich-grünes Schauderlicht vor der Fensterfront aufloderte und zeitgleich der Strom ausfiel. Ebenfalls in derselben Sekunde schrieen die Frauen um mich herum auf, sich duckend oder gar auf den Boden werfend. Kurz darauf sprang mit einem Surren die Elektrizität wieder an, die Frauen kicherten nervös wie erleichtert, sich ans Herz fassend, um ihren Schrecken zu demonstrieren. Ich besichtigte die Wasserfälle nicht.

„Wo warst du? Wir haben uns Sorgen um dich gemacht!“ schleuderte mir eine Mitreisende im hoteleigenen Vorgarten unter einer tropfenden, ausgefahrenen Markise entgegen, die Augen doppeldeutig funkelnd. Wahrscheinlich war sie eher enttäuscht, daß ich wohlbehalten zurückgekehrt war – seit sie die Spiegelreflex erblickt hatte am Tag nach der Ankunft im Land, befand ich mich auf ihrer Abschußliste. Ich habe etwas an mir, das Frauen auf negative Weise reizt und darf mich eigentlich auf jeder Tour mit mindestens einer Dame arrangieren, meist indem ich sie schlicht ignoriere, ein Trick aus Mädchen-Kloster-Schulzeiten. Besonders heftig war es während der Azoren-Tour, als ich gleich mehrere Frauen gegen mich aufgebracht hatte – glücklicherweise nächtigte ich im Männerhaus, und zwar aus dem Grund, weil sie jemanden benötigten, der bereit war, im Pinken Zimmer zu gastieren: vierzehn Tage lang Rosa, Rosé, Magenta, Fuchsia, Violett, Flieder an den Tapeten, Vorhängen, am Bettüberwurf, der Wäsche, den Handtüchern, am Teppich, sogar das Licht in diesem Zimmer schien pfirsich-lila samten hinein, puh…

„Sorgen, um mich? Ach, Unkraut vergeht nicht.“

Den Basilisken auf meiner Speicherkarte, irgendwo unterwegs während des Streifzugs aufgenommen, behalte ich lieber für mich, verschwinde grinsend im Foyerinneren.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert