66, Teil III: Singen im Gewitter

66, Teil III: Singen im Gewitter

Costa Rica, August 2014.

Still betrachtete ich die geschwungene Küstenlinie mit den vielen kleinen Buchten nahe Quepos. Das Grün der Vegetation quoll förmlich über das braune Gestein der niedrigen Steilwände hinweg, ein wogender smaragdener Schaum aus leuchtendem, strotzendem Laub. „Kolumbus und seine Getreuen müssen sich im Paradies gewähnt haben, als sich das hier nach Wochen und Monaten auf rauer See plötzlich aufgetan hat.“ gab ich halblaut von mir; keiner würde mich verstehen, ich war die einzige Deutsche. Yukatan lag nicht allzu weit entfernt, nicht wenn man Reisende aus Europa ist. Der Himmel zeigte sich schiefergrau, lief an manchen Stellen bereits anthrazitfarben an. Es regnete, seit der Katamaran abgelegt hatte, manchmal peitschte das kühle Naß einem ins Gesicht, sodaß man die Rehling wechseln mußte. Wir stoppten in geringem Abstand zu einer Felsgruppe, machten uns bereit für das Wasser.

Nachdem ich mich mit dem Schnorchel-Leihequipment ausgestattet hatte, begab ich mich zur herabgesenkten Einstiegsleiter, ließ mich von dort bequem in den badewannenheißen Pazifik gleiten. Ich liebe es, zu schnorcheln! Eins zu werden mit dem Meer und trotzdem an der schaukelnden Oberfläche zu verweilen, den Geräuschen dort unten zu lauschen und meinem gleichmäßigen Atem. Korallen gab es hier keine, aber Fische in Überfluß! Ein uns begleitender Einheimischer faßte nach meinem Handteller, den Papageienfisch verlor ich dabei aus den Augen. Stattdessen sah ich, wie ein schwarzer Haar-Seestern von den Fingern des Mannes auf die meinen gleitet, die Arme schlängelnd, als gäbe ein halbes Dutzend Bauchtänzerinnen eine rassige Aufführung, und fühlte das sachte Kratzen auf meiner Haut. Allein hätte ich mich nie getraut, das stachelige Tier anzulangen (giftig? wehrhaft?), doch der Guide hatte es mir extra aus einigen Metern Tiefe heraufgetaucht und mir meine Einwände genommen, indem er das Wesen ungefragt in die Hand gedrückt hatte.

Wieder an Bord, auf dem offenen Deck unter einem einfachen, auskragenden Dach, tropfte süßer Ananassaft von meinem Kinn, aufgeschnittene Papaya und Melone dufteten auf dem Teller vor mir. Ein gewaltiges Unwetter toste uns um die Ohren, Regen peitschte hernieder, Blitze schossen weiß und gelb und grell herab, gefolgt von knallendem Gepolter. Mehrmals fragte ich mich, ob dieser offene Katamaran voller Metallstreben und -teile denn nun ein Faraday´scher Käfig sei oder nicht, hatte mich aber nicht getraut, mir Gewißheit bei einem der anwesenden Crewmitglieder zu verschaffen. Die anderen schienen mehr aufgeregt denn beunruhigt oder zeigten sich gar völlig gleichgültig, gehörten Gewitter doch zum Alltag Costa Ricas um diese Jahreszeit. Man plünderte das Büffet, Paprika-Fleischspieße, landestypisches Gallo Pinto – schon wieder! -, Obst, Zitronenkuchen, Limonade, Bier. Auf dem Weg zurück zum Hafen orientierte der Kapitän sich an der Küstenlinie, die wie in Watte gehüllt anmutete. Unsere Walbeobachtungsfahrt endete vorzeitig, kein einziger Delfin hatte sich uns gezeigt, kein Seevogel. Weißes, wütendes Kielwasser wich vor dem Katamaran, spritzte zischend den Bug herauf, während eine bewegliche Regenwand uns einschloß, die Blitze vom Himmel in die dichte Gischt hineinkrachten.

Indes: es wurden Rasseln, Schellen, Klanghölzer ausgepackt. Der Chef der Crew persönlich stimmte „Guantanamera“ an, die Stimme überraschend kräftig und ausgebildet, sich selbst begleitend mit einem metallenen Instrument, ein Zwischending aus Gitarre und Laute. Unwetter hin oder her, das Programm an Bord – ein kleines gemeinsames Konzert – würde eingehalten; nicht, daß da jemand auf die Idee käme, einen Teil seines Geldes zurückzufordern! Es machte mich durchaus ein wenig traurig, daß wir die Gelegenheit verstreichen lassen mußten, auf Buckelwale zu stoßen oder auf Pelikane und Tölpel. Weite Ausblicke waren uns nicht gegönnt, aber deutlich sah ich einen großen, riesigen Falter dicht über die Wellenkämme hinwegflügeln. Ein Schmetterling über dem Ozean? Während der Himmel seine Schleusen über uns öffnete, als gäbe es kein Morgen?

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