41, Teil V (Fortsetzung von Beitrag 27): Ziegensprint

41, Teil V (Fortsetzung von Beitrag 27): Ziegensprint

Äthiopien, Oktober 2014.

In Äthiopien ist man in Bewegung; ein Kontrast zu den goldenen, Ernte reifen Korn- und Hirsefeldern, die falbenfarben erstarrt die Flure bedeckten, ausgeblichen von der Kraft der Sonne und verheißungsvoll lockend zugleich. Auf Schlagloch versehenen Pisten polterten und schlichen wir durch das Land, desaströse Schotterstraßen entlang, die wenig motorisierte Fahrzeuge leiteten, sondern überwiegend Fußgänger, Eselskarren, Räder von A nach B beförderten. Jeder schleppte etwas, oft große quietschgelbe Plastikkanister, die das Trink- und Brauchwasser enthielten oder gigantische Strohballen, die sich in gewagten Konstruktionen nach oben türmten, fast karikaturesk, wenn es nicht so todernst gewesen wäre, oder man trieb sein Vieh – ein paar Kühe, Schafe, Ziegen – an einen mir unbekannten Bestimmungsort, vielleicht auf den Markt zum Verkauf oder zum Schlachter oder zu einer geeigneteren Weidestelle. Gelegentlich knatterten Mofas vorüber, auch sie bepackt mit Gegenständen aller Art. Irgendwie gewann ich den Eindruck, daß die Arbeit, die Existenz, der Alltag äthiopischer Menschen aus zielgerichteter Bewegung bestand, daß die Landstraßen einen entscheidenden Teil im Leben der Leute ausmachten. Gebannt kuckte ich aus dem Busfenster, als ich ein rennendes Kind entdeckte. Es war etwa drei Jahre alt, bekleidet mit einem einfach-praktischen weißen Kittel, und fetzte in einer Geschwindigkeit den Bordstein entlang, daß man bloß staunte. Ich merkte, wie eine Mitreisende zwei Reihen im Bus vor mir die Szene ebenfalls verwundert beobachtet hatte; so brachen wir gleichzeitig in amüsiertes Gelächter aus, als wir die sprintende Ziege entdecken, die bereits einen Abstand von einigen Metern herausgeschlagen hatte, um den Hals ein irrwitzig baumelnder, schlenkernder Strick: sie war dem jungen Hirten entwischt und schien Geschmack am Ausbüchsen gefunden zu haben… Es sind oft Kinder, die achtgaben auf das Vieh, einzelne Tiere oder winzige Herden, auch Mädchen betreute man mit der Aufgabe des Hütens, der sie sorgsam und mit gewissem Stolz nachgingen.

Ich stieß mich an den Kontrasten, die sich mir boten, obwohl ich wissen sollte, daß die Welt überall komplex ist und sich Komplexität nicht zwangsläufig aufgrund von Armut reduziert. Sie bildet dann gerne Paradoxe aus, die lediglich von Fremden als solche empfunden werden.

Auf den hallenartigen Basaren quollen Artikel über die Verkaufstische, ein Meer aus Plastik und Synthetik, das gebraucht wurde bzw. zumindest vermittelte, eine Notwendigkeit zu sein. Ich hielt vor den Stoffgeschäften inne, erschlagen von der Vielzahl und vor allem schweren Üppigkeit der seiden-glänzenden Stoffe, die magisch funkelten, als entstammten sie einem Feenreich oder einem märchenhaften Harem. Stoffe, die sich zu Gardinen bauschten, zu Paravents, die als festlich-protzige Tischdecken gedacht waren oder die man zu Kleidung nähen lassen konnte an einer der unzähligen uralten aber gut tauglichen Maschinen Marke Singer, die Männern wie Frauen ihr täglich Brot einbrachten.

Woher beziehen Verkäufer solcher Waren ihre Kundschaft? Von wenigen Hotels abgesehen säumten hölzerne Rundhütten – Einfamilienarchitekturen für ganze Familiensippen – die Wegstrecken, bildeten Betonkuben ohne jeden Schnickschnack kleine befestigte Siedlungen. Eine Restaurantangestellte speiste über einen Nebeneingang einen im Schatten wartenden Bettler mit Übriggebliebenem. Ein Mann auf seinem Motorrad schleifte einen toten Hund hinter sich her, zu welchem Zweck immer. Aus einem Ghettoblaster donnerte Musik.

Wütend schlugen Fäuste an die Fensterscheibe, klatschten flache Hände auf das Glas, erschallten erzürnte Rufe. Den Einheimischen gefiel es nicht, von der erhobenen Position aus, die unser Bus uns zwangsläufig bot, zu Akteuren eines Amateurfilmes zu werden, zu Zootieren, bloßen Schauobjekten degradiert. Der eifrige Hobbyfilmer meiner Gruppe freute sich über den Aufruhr, brachte er schließlich ein spannendes Moment in sein Material ein. Ich schäme mich oft, Tourist zu sein.

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