26, Teil III: Ananas bricht mir das Herz

26, Teil III: Ananas bricht mir das Herz

Äthiopien, Oktober 2014.

Es war in den Bale Bergen, irgendwo den Trekkingpfad entlang. Es nieselte, der Atem hing in weißen Wölkchen vor einem. Die Wanderschuhe schmatzten den rotbraunen Schlamm hindurch, zäh und anstrengend war es zu laufen. Ich war in Schichten aus trendiger Hightech-Freizeitbekleidung gehüllt, Fleecepullover, Multifunktionsjacke, Thermohose, trug Stirnband und Handschuhe. Selten kamen wir an Viehgattern vorbei, noch seltener an völlig isolierten, einfachen, windschiefen Holzrundhütten, die mehr als provisorisch wirkten und doch als feste Unterkunft einer Familie dienen. Ein Feld wurde gerade von einem einzelnen uralten Mann bearbeitet, der einen Ochsen vor einen schlichten Pflugschar gespannt hatte. Mann wie Ochse waren klapperdürr, beide hielten die Köpfe gesenkt, den kalten Regen scheuend. Schleppend und langsam ging es voran, jeder Schritt eine ungeheure Anstrengung. Plötzlich kam ein Bub aus dem Nichts angerannt, ein schwarzes, niedliches Bilderbuchkind mit hübschen Gesichtszügen, wohlgenährt, nicht mager, nicht dick, die Augen leuchtend, der Mund zu einem ansteckenden Strahlen verzogen. Die nackten Füße steckten in Gummistiefeln (eine von den Chinesen erkannte Marktlücke), ansonsten war der Junge für dortige Verhältnisse gut angezogen, d.h. in der richtigen Größe (meistens sind die Textilien zu klein, zu groß, zerflickt, zerrissen, zerlumpt, sieht man die Bäuche durch Löcher hindurch oder die Zehen; dünne Baumwoll- oder Polyesterfetzen, die die Kinder kaum verhüllen, geschweige denn wärmen) und vor allem: unbeschädigt. Mich faszinierte die leuchtende Aufgeschlossenheit des plappernden Buben. Er fragte, worauf ich wartete, erklärt mir der Guide. „Auf den Rest der Gruppe.“ antwortete ich in Englisch, das der Junge nicht verstand, doch war er ohnehin schon auf einen wackligen Zaun gehüpft, um die Nachhut, die langsameren Wanderer, besser sehen zu können. Das Kind mutete vital und glücklich an, seine neugierige Freude über unser Erscheinen rührte mich. Da besann ich mich, wußte ich immerhin, daß er hätte in der Schule sein sollen, um zu lernen, wie man sich in einer modernen Welt besser schlägt, um Hunger und vorzeitigem Alter zu entgehen. Er hätte buchstabieren sollen, rechnen, von Dingen erfahren, die außerhalb seiner Hütte, außerhalb der Berge, ja außerhalb Afrikas liegen. Seine Familie aber wohnte zu entlegen, war zu arm, um dafür zu sorgen, daß er Unterricht erhielt. Auch dachte ich nun an die anderen drei Knaben, die uns tags zuvor ein kleines Stück weit begleitet hatten und die aus gebührender Entfernung mitansahen, wie uns Touristen das Mittagspicknick gereicht wurde, Käsebrote und Nüsse und Ananas. Diese Scheiben Ananas waren es, die sie fixierten mit hohlen Augen, begehrlichen Augen, schmerzhaft begehrlichen Augen, Ananasscheiben, die ihnen das Wasser im Mund zusammenlaufen ließen – eine (aus europäischer Sicht) banale Ananas! Ein Stich in mein Herz…

Ich fand also den kleinen Zaunhocker niedlich, sympathisch, war froh über die kurze, angenehme Begegnung, die ich mit einem Foto festhalten konnte. Und dann fiel es mir auf, entzifferte ich den Letterzug seiner Comic bedruckten Jacke: DEAD OR ALIVE.

 

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