25 Reisen: Grenzen aufzeigen

25 Reisen: Grenzen aufzeigen

München, Gegenwart.

Ich bin verwöhnt, weswegen mir das Reisen durchaus gut tut. Ich habe es gerne warm, kuschelig weich, liebe Sauberkeit, Ordnung, bevorzuge ästhetisch staffierte Räume, hochwertiges, gesundes Essen, gehobene Süßigkeiten, lege Wert auf Textilien aus Naturfasern, umgebe mich mit kleinem Luxus wie Zimmerpflanzen, Parfüm, Kunsthandwerk, bin süchtig nach Sachliteratur, Spaziergängen, Naturmomenten und begrüße Menschen, die ihre Individualität zelebrieren, ohne dabei ins egozentrisch Rücksichtslose zu verfallen.

Auf Reisen dann weine ich manchmal vor Kälte, liege ich auf Decken, die seit Anschaffung vor Jahren nie gewaschen worden sind, dusche ich von Schimmel und Dreck umgeben oder gar auf Pferdeäpfeln stehend unter einer Plastiktüte, esse ich wochenlang Reis, lese ich keine einzige Zeile und begnüge mich mit dem, was mein Rucksack unterzubringen vermag. Ekel, schlechte Laune, Selbstvorwürfe bleiben nicht aus, ich verliere stets einige Kilo Gewicht. Ja, das Reisen tut mir gut! Es zeigt mir meine Grenzen auf, die anfangs erschreckend niedrig gesteckt gewesen sind, körperlich, vor allem psychisch. Es lehrt mich, Frustrationen auszuhalten, umfassend zu empfinden, daß die Welt nicht immer rosarot ist, nicht einmal für einen Menschen aus der Wohlstandsgesellschaft wie mich – gerade für mich nicht! Wie ist es, bei Minusgraden in einem mickrigen Zelt zu schlafen, ohne entsprechend gerüstet zu sein (weil ich nicht damit gerechnet habe oder weil ich zu geizig gewesen bin, teure Ausstattung zu kaufen oder zu faul, diese mitzuschleppen)? Das Reisen hat mich Geduld gelehrt und daß nicht alles nach Plan läuft, es ganz gewiß nicht nach Plan laufen wird! Die Dinge, die mir in der aktuellen Situation am stärksten zu schaffen machen, sind in der Regel auch jene, über welche man später am herzhaftesten lachen wird.

Aber das ist nur die eine Seite, weshalb mir das Reisen gut bekommt. Ich wünschte, jeder Westliche würde einmal in seinem Leben die Gelegenheit haben und wahrnehmen, an einem ihm wirklich fremden (auch befremdlichen) Ort zu verweilen und festzustellen, wie gut er es hat, Burnout, Depression, Streß, Geldsorgen zum Trotze, und mit eigenen Augen zu begreifen, daß das Fremde kein Übel ist. Dem Reisen wohnt eine ungeheure moralische, völkerverständigende Kraft inne, und ein Kulturschock sollte als das anerkannt werden, was er seiner Art nach ist: ein polterndes Erwachen, ein Beginn neuer Perspektiven.

Und dieser Kulturschock ereilt einen immer wieder, häufiges Reisen feit einen nicht davor, man fängt sich nur rascher und bleibt gelassener. Manchmal bricht er über einen hinein, daß man flugs das Weite suchen möchte, ohne es zu können, manchmal sticht es einem leise und doch erschütternd schmerzhaft in die Seele hinein.

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