251 Zufall, federleicht

251 Zufall, federleicht

München, Mai 2023.

Future is now, singt Chris Norman in „Waiting“ – da weiß ich nie, ob ich es aufbauend finden soll oder zynisch. Aber dann heißt es weiter in diesem simplen und doch unglaublich schönen Text: Sky is not broken, und der honigmilchene Trost breitet sich warm aus in Bauch und Brust.

Manche Markenbotschafter posieren mit ihren Kameras wie mit Trophäen; Pokale ihrer Selbstzufriedenheit. Der einzige Grund, weshalb ich den Newsletter nicht wie alle anderen sofort löschte, war das Standbild eines Youtube Videos, auf welchem der Fotograf den zu bewerbenden Apparat hielt, wie traditionelle Japaner es tun mit ihren Teeschalen während der rituellen Zeremonie, ganz natürlich, ganz zart, so wie ein Vogel seine Flügel nutzt, ohne daß ihm im Sinn stünde, zu protzen damit, sondern einfach fliegt. Also klickte ich auf das Playzeichen; besuchte ich die Homepage. Die Bilder waren wie die Kamera in der Hand: selbstverständlich, ästhetisch, voll und satt, ohne laut zu werden. Wenn man wollte, sprachen sie mit einem; manche flüsterten, summten; andere kokettierten; forderten heraus; immer auf Augenhöhe, nie hierarchisch. Immer ein Du und Du. Die einen körnig, sonnenschläfrig, andere glasklar und vibrierend. Schwarz/Weiß oder Bold, Farbwow.

Ein Model berührte mich spontan besonders. Ein Berufsprofi, wie die kurze Google Recherche ergab, eigentlich sofort ersichtlich, unbestritten, Daniel Yoon. Die Art, wie er den Betrachter anschaut, fixiert beinahe, gleichwohl die Weise, wie der Fotograf dies aufzunehmen vermocht hatte, erinnerten mich in ihrer Intensität an die einmaligen Blicke Marina Abramovics, die selbst durch ein Distanzmedium wie Fernsehen von einer Wirkmacht sind, daß es einem den Atem verschlägt und man in Schauer ausbricht. Wenn ich Dokumentationen mit und über Marina Abramovic rezipiere, fühle ich mich eingesogen von ihr, ihrer Präsenz und mentalen Stärke, und ich wünsche mir oft – wie wohl fast alle Menschen, die von ihr erfahren – sie treffen zu dürfen, ihre Anwesenheit in natura zu erleben, ihre Energie oder Aura oder wie man es nennen soll. Und ich würde ihr gerne – so unendlich gerne! – etwas sagen. Ich würde ihr, die andere stundenlang so anzuschauen vermag, daß sie tränengeschüttelt schweigend einen Wendepunkt im Leben verspüren (vgl. Ausstellung/Performance „The Artist is Present“, MoMa 2010), würde ihr sagen: Marina. Ich sehe dich. Ich würde nicht wollen, von ihr gesehen zu werden. Ich würde ihr das Geschenk machen, die Seiten zu wechseln, damit sie selbst Erleichterung finden, gelöst sein kann. Es mag nach einem narzisstischen Wunsch klingen, arrogant, überheblich, anmaßend, beinahe vulgär oder aber infantil, utopisch.

Make a Wish and see if it comes true / Follow Your stars/ Make it happen / Let Your light shine through, singt Norman. Start to be Yourself/ Let´s just dance.

Zusammenhänge herstellen von Dingen ohne eigentlichen Kontext, geeint nur durch die Klarheit des Schönen. Eine Songzeile, ein gehobenes Werbevideo, fernöstliche Kulturelemente, Reportageschnipsel. Klebstoff, Verbindung, ist das Gefühl: Erhabenheit. Zauber. Das Wissen um Mehr, um Größeres, Wahres. Beinahe erstickt am Kleingeist, und wieder reicht der Zufall mir die Hand, über eine Homepage gestolpert, ein bißchen Freiheit gefunden: die Freiheit, Grenzen im eigenen Denken aus ihren Krusten zu hebeln. Seine Flügel wiederentdecken und einfach losfliegen…

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