23, Teil I: Hyänenmann

23, Teil I: Hyänenmann

Äthiopien, Oktober 2014.

Es war düster und leer, wir fuhren durch die verwinkelten Gassen Harars. Unser Kleinbus rumpelte an geschlossenen Läden vorüber, keine offene Teestube fand sich, nicht ein Anzeichen von Leben, weder menschlich noch tierisch. Die alte Stadt mit ihren bunt getünchten Fassaden schien bereits zu schlafen, obwohl die Uhr nicht einmal auf acht Uhr stand. Ich wundere mich immer wieder über die unterschiedlichen Rhythmen und Gepflogenheiten, die die Orte und Kulturen den Menschen aufprägen, ohne daß diese Andersartigkeit besser oder schlechter wäre – einfach nur ungewohnt. Obwohl ich diese Reise unternahm, weil sie mich mit den Hyänenmännern gelockt hatte, erwartete ich eine touristisch überlaufene, affektierte Show, eine Vorführung ohne Substanz, die sich für die lokale Bevölkerung als schnelles, leichtes Geld entpuppt hatte.

Irgendwo an einer abseits gelegenen Ecke, einem halboffenen Platz, hielten wir schließlich; dicht gedrängt parkten bereits zwei, drei Jeeps und noch ein weiterer Van im Halbkreis, die Standlichter eingeschaltet, welche eine unwirkliche Szene illuminierten. Touristen – allerdings weit weniger als vermutet -, Weiße wie Schwarze in westlicher Kleidung, standen oder hockten leger in zwei, drei Metern Abstand zu einem rechteckigen Baumwolltuch, das man auf dem staubigen, nackten Boden ausgebreitet hatte.  Als ich ausstieg, nahm ich alles zugleich war: die warme Nachtluft, den leicht fauligen Geruch, der darin lag, die wartende Anspannung der Zuschauer, die bühnenhaften Kegel der Autoleuchten, welche Hell und Dunkel scharf von einander trennten, das vage aber unverkennbare Glitzern von etlichen Augenpaaren nicht allzu weit entfernt und doch verborgen in der Finsternis, die Rufe und sonderbar scharfen Laute des auf dem Tuch knienden Mannes, die schlurfenden, unruhigen Pfoten, die über den sandigen Grund huschten. Ich war verblüfft über die Intimität und Ruhe, die sich mir boten, auch über die Größe der Tüpfelhyänen. Die anführenden Weibchen bildeten die Spitze der Rudelhierarchie, sie fraßen zuerst, tanzten um den Hyänenmann herum, nicht lauernd, nicht gierig, nicht arglistig und doch unsagbar aufmerksam, würdevoll. Ich wohnte keinem Spiel bei, keiner Inszenierung, ebensowenig einem Kampf oder einer Dressur, die sich aus Überlegenem und Untertan ergab. Auch wenn ich es noch nicht wußte, weil ich es erst ein Jahr später in einer französischen Dokumentation erfahren würde, spürte ich intuitiv den Pakt zwischen Mensch und Hyäne, welcher einzigartig ist in der Welt und auch im restlichen Äthiopien beispiellos. Die Tiere gelten hier nicht als gefährlich, als Konkurrent oder wenigstens lästig; sie werden nicht nur geduldet, sondern als nützlich, gar gleichrangig betrachtet. Tagsüber dösen sie in den Feldern vor der Stadt, suchen bei Dämmerung regelmäßig Müllhalden auf oder laben sich an eigens zugedachten Schlachtabfällen, nachts betreten sie Harar über für diesen Zweck angelegte Zugänge in der Umfriedung und säubern die Straßen von Aas und Unrat. Seit Jahrhunderten hat es keine Angriffe auf Menschen gegeben, seit Jahrhunderten koexistieren beide friedlich. Selbst die streunenden Hunde werden von den eigentlich stärkeren Hyänen respektiert, weil sie in ihnen die Begleitung des Menschen erkannt haben. Ein aasfressendes, sozial strukturiertes Raubtier ist in der Lage, die Beziehungsform zwischen Mensch und Hund zu begreifen und zu achten!

Nun, davon ahnte ich allerdings noch nichts, als ich fasziniert den Bewegungen des Hyänenmannes folgte: Dünne Holzstöckchen, umwickelt mit Streifen faulen Kamelfleisches, hüpften durch die Luft, kleine Häppchen für die herumstromernden Alphaweibchen, während im Hintergrund die Jungen warteten, liegend, die Köpfe auf den Boden gedrückt, süß, das Kindchenschema wirkte sogar dann, wenn man bloß Schemen im Dunklen erkennt – und reflektierende Punktpaare, recht viele sogar… Wie leise sie sind! Welche Meister des Versteckens…

Ja, es wurden ein paar Kunststücke vorgeführt – die gesamte Fütterung war ein Kunststück, denn die gespannt-wache Miene des Mannes vor uns, die kontinuierliche Drehung seines Kopfes in alle Richtungen, um den Überblick zu behalten, verrieten es: diese Tüpfelhyänen mochten Menschen, deren Nähe und Anwesenheit, gewohnt sein, zahm oder bezähmt waren sie keineswegs. Es handelte sich um mehrere, völlig wilde Rudel, die sich vor den Toren Harars angesiedelt und mit deren Bewohnern arrangiert hatten. Eine Abmachung, eine Übereinkunft, ein gegenseitiger Frieden mit Vertrauensvorschuß. Keine Zoo-, Zirkus-, Haustiere.

Ein paar Leute trauten sich; erstaunlich wenige bloß. Ich war eine von ihnen. Später würde man mich fragen, ob mir bewußt gewesen sei, daß ein einziger Hieb, ein Biß in die Halsschlagader gereicht hätten, mich zu töten oder zumindest ernsthaft zu verletzen. Ich kenne Ängste. Flugangst. Angst vor Gewitterblitzen in den Bergen. Angst vor Menschenmengen in westlichen Großstädten. Angst vor Verletzungen im Umgang mit Bohrmaschine oder Hammer. Angst vor lauten Geräuschen. Zum Teil irrationale Ängste, und zwar eine ganze Menge davon. Aber dort traute ich mich, eher: ich wollte. Ich wollte diesen Tieren nahe kommen, wollte die einmalige Gelegenheit ergreifen, mich mit ihnen zu verbinden. Aus Erfahrung weiß ich, wieviel Kraft, Vitalität und Frieden man aus Naturerlebnissen langfristig zieht, welch kostbare Geschenke sie sind, wie bereichernd und Charakter formend. Ich kniete mich also neben den Mann, um uns herum die ständig in Bewegung bleibenden Hyänen. Kurz war ich geblendet von den Autoscheinwerfern, raste mein Puls – den Zuschauern wegen, die mich nun anstierten. Der Mann befahl mir mittels Gesten, die Hände auf den Boden zu legen, sodaß meine Schultern leicht nach vorne kippten, aber ich machte es falsch, fühlte den kiesigen Staub zwischen Fingern. Der Mann herrschte mich an, zischte, gab mir unmißverständlich zu verstehen, daß ich auf dem Baumwolltuch zu bleiben hatte, da begriff ich den Ernst, kapierte ich die Regel: das Tuch war menschlicher Hoheitsbereich, ein magischer Bannkreis, der uns Schutz bot – der Boden davor gehörte dem Revier der Hyänen an… In Sekundenbruchteilen kam ich dem Befehl nach. Aus einem geflochtenen Korb fischte der Mann müffelndes Fleisch, präparierte eines der Stöckchen damit und reichte es mir. Ich fütterte eine der Hyänen. Rasch war das Fleisch verschlungen, kaum mehr als ein winziger Happen für das kräftige Maul. Ich hatte die Zuschauer vergessen, die grellen Scheinwerfer, den für eine Vegetarierin fragwürdigen Gestank des alten Fleisches. Ich sah das Gesicht der Hyäne vor mir, dicht, die Schnauze, die runden Teddyohren, die glänzenden Augen, in denen ein Ausdruck lag, den ich nur zu gut von meinem Hund daheim kannte: Betteln, Appetit, Erwartung eines Leckerli. Ich interessierte das Tier nicht, bloß das Gutzi war wichtig.

Ein Hyänenkopf: eine Mischung aus Hund und Bär und unglaublich schön. Das mußte ich immer wieder denken: wie schön sie ist, die Hyäne. Ich genoß den Moment, genoß es, ein wildes Tier so dicht studieren zu können. Die Sekunden dehnten sich aus, wurden zu Minuten, auch das kannte ich von anderen Naturerfahrungen. Sie währen nur kurz und prägen dich doch ein Leben lang, machen dich in Erinnerung daran lächeln.

Der Mann rief wieder, schnalzte mit der Zunge, nicht ich war gemeint. Etwas plumpste ungeheuer schwer auf meine Schultern, ich fühlte links und rechts je eine Pfote auf mir ruhen. Ich hatte noch Zeit, mich sowohl über das Gewicht, als auch über die Vorsicht zu wundern, die das Tier offenkundig walten ließ, als es schon sein Stückchen Kamel vom Hyänenmann erhielt und wieder abstieg.

In besagter Dokumentation würde ich dann hören, daß es ein junges Männchen sei, das seine Vorderpfoten von hinten auf die Schultern eines knienden, fremden Menschen – also Touristen – lege und dabei seine Krallen einziehe. Vielleicht haben Hyänen doch etwas Katzenhaftes an sich, und vor Katzen fürchte ich mich ihrer Launenhaftigkeit wegen durchaus…

Die Hyänenmänner von Harar pflegen eine Kultur des Respektes gegenüber nichtmenschlichen Wesen – wieviel können wir von ihnen lernen, sollten es. Ich wünsche mir, daß diese Tradition die Zeiten – auch die harten oder jene des modernen Wandels – überdauern werden.

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