213 Beethoven alive

213 Beethoven alive

München, September 2022.

Dicken Barockperlen gleich plumpsen sie herab; erst jetzt bemerke ich den feinen Luftzug, der durch die Halle streicht und mir kühl den Tränenspuren folgend beide Wangen kitzelt. Ich atme tief ein, die zitternden Lungenflügel füllend, nicht mit Sauerstoff, nicht allein damit jedenfalls: eingesogen wird jeder einzelne Ton, jeder Klang, jedes noch so mikrofeine Vibrieren von Saiten. Die Bühnentechnik ist angewiesen worden, die Lichter weitgehend zu löschen, ein Stück lang auf die fulminante Photonenshow zu verzichten, auf das gleißende, rhythmisierende, befeuernde Farb- und Leuchtspektakel, das sonst dem Pushen dient, dem Effekt, der Lenkung von Emotionen, der Steuerung des Publikums. Auch jetzt glimmen noch zaghaft orange Punktbogen, fliegt vage ein dunkles Grün über die Sitzreihen hinweg, Ambienteillumination. Ganz gerade halte ich das Haupt, die Lider geschlossen. Das einzige, was wirklich Bestand hat jetzt in diesen Minuten, das gerade wahrhaft ist, existent, physische und nichtmaterielle Fasern durchdringend, das was den Seelenraum betreten hat – urplötzlich und doch ohne jede Gewalt -, das ist Beethoven. Über Jahrhunderte hinwegkatapultiert hinein in Winkel meines Wesens, von denen ich vielleicht bis dahin nicht einmal etwas geahnt habe, kleiden mich die Melodiefolgen von innen her aus, und ich weiß, noch während ich lausche, mir auf die Lippen beißend, um nicht völlig loszuheulen wie ein Schloßhund, daß dies einer jener Augenblicke ist, für die wir Menschen auf die Welt gekommen sind; für die ich auf die Welt gekommen bin. Danke, David Garrett und Band.

Der Besuch des Alive Konzertes in der Olympiahalle war die sinnvollste Begebenheit der letzten bald drei Jahre: mir nicht nur erinnernswert, sondern bedingungslos sinnstiftend.

 

Illustration zeigt eine hölzerne Barockmadonna mit originalen, plastisch anmodellierten Tränen

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