131, Teil I: Von Wiedehopfen und verbotenen Orten

131, Teil I: Von Wiedehopfen und verbotenen Orten

Türkei, Kappadokien, Oktober 2013.

Eine Reisezeitschrift war gänzlich der Region Kappadokien in Zentralanatolien gewidmet, eine urtümliche Gegend, geschichtsträchtig und gekennzeichnet von prächtigen, zu bizarren Formen erodierten Landschaftsformationen in atemberaubenden Farben. Der weiche Sandstein hatte unzähligen Generationen und Kulturen Unterschlupf geboten, war er recht leicht auszuhöhlen und zu gestalten gewesen, Sichtschutz und Verstecke bietend. Viele Christen und Mönche waren in die verschachtelten Schluchten und Felshänge geflüchtet, angewiesen auf Selbstversorgung, sodaß man noch heute an den ungewöhnlichsten, verborgenen Stellen verwilderte Apfelbäume und Getreidewiesen vorfindet, oft in direkter Nähe zu mäandernden Flüssen, über welche Eisvögel hinweghuschen, während die Luft erfüllt ist vom lachenden Huphuphup der Wiedehopfe, schöne, sandtönerne, eine imposante Federkrone tragende Geschöpfe.

Ich hatte die gemütliche, bäuerliche Unterkunft in Uçhisar für einen kurzen Abendspaziergang verlassen, über einen der staubtrockenen Pfade schlendernd, von der Sonne gestreichelt und vom sachten Wind unterhalten. Die Gräser lagen falbenfarben darnieder, knisternd, wenn man auf sie trat, stachelig unter dem Po, als ich mich auf ein winziges Flurstück setzte, die Kniee angezogen und von den Armen umschlungen. Huphuphup. Huphuphup. Stundenlang hätte ich dieser in Intervallen aufklingenden Melodie lauschen können, es war meine erste Begegnung mit Wiedehopfen in natura. Unweit von mir erspähte ich eine Schildkröte, träge wie ich, wir ließen uns einander nicht stören in unseren Gedanken. Huphuphup. Das Licht färbte sich rot. Ich durchblätterte trotzdem noch das mitgebrachte Heft, fasziniert an einer Fotografie hängenbleibend, die eine besonders mystische Felsenkirche abbildete, herrlich weißes Gestein, die Öffnung ein lang gezogener, gezackter Schlitz. Der Text erläuterte die Entstehungs- und Nutzungsgeschichte, pries den Feinsinn der Bauherren und stellte bedauernd klar, daß es aufgrund des schlechten Erhaltungszustandes und der damit verbundenen Einsturzgefahr nicht möglich sei, das Gebäude zu besichtigen und man dessen Ort deshalb geheim halte, um unvorsichtige Touristen nicht in Versuchung zu bringen. In fortgeschrittener Dämmerung erhob ich mich seufzend, mich auf den Rückweg machend zur liebevoll geführten Pension, in welcher die Mitreisenden zu Tisch auf die frische gegrillte, Rosmarinnadeln gewürzte Forelle auf Tomaten-Zwiebelbett warteten. Ich hatte die halbe Stunde der Stille genossen, die Anwesenheit meiner Schildkrötengefährtin, das unbeschreiblich zu Herzen gehende Huphuphup einer in Deutschland verschwundenen Spezies.

Wir waren seit einigen Stunden unterwegs. Regelmäßig galt es, Bäche zu queren, das Laub der zebrastämmigen Birken verfärbte sich mit jedem verstreichenden Tag unserer Tour mehr, von neongrün zu grellgelb zu samtgolden. Manches Gesträuch leuchtete uns flammend entgegen, in kirschfarbene Gewänder gehüllt. Die Herbstkoloration der Vegetation steigerte die Farborgie von Sandsteinschichten in Bernstein, Rosé, Rauchquarz, Elfenbein, Burgund und zerspringend blauem Himmel zu einer Explosion, in Schach gehalten vom Beige des alten Grases und dem stechenden Schwarz unzähliger abgestorbener Büsche, welche letztere mich manchmal in die afrikanische Savanne versetzten und zusätzliche Exotik verliehen (zu diesem Zeitpunkt war ich noch nicht in Afrika gewesen).

Spät am Tag erreichten wir eine unscheinbare Stelle, leicht zu übersehen, eingestreut in die Landschaft wie Kiesel: nett aber nichts besonderes. Der Guide drückte mit einigem Aufwand einen stattlichen dornigen Zweig zur Seite. Obwohl ich nie einen Fuß in die Türkei gesetzt hatte zuvor, kannte ich die Öffnung. Ungeduldig winkte er uns herein. Mitten im Bauch des Felsen erhob sich eine Halle, die Wände mit plastischen Ornamenten verziert; es roch alt und gut und weise; obwohl man uns gewarnt hatte, schlug ein Mann sich die Stirn auf an der niedrigen, scharfrauen Decke der Seitengänge, das Blut lief ihm von der Glatze in Strömen zwischen die Brillengläser. Vielleicht ist es das, was passieren muß an verbotenen Orten: wir nämlich durchstreiften exakt jene instabile, von Erdbeben in Mitleidenschaft gezogene Kirche, wie sie sie mir das Magazin vorgestellt hatte. Das unfreiwillige Opfer jedenfalls schien die Geister zu besänftigen, wir wanderten ohne Vorkomnisse weiter, noch gefangen vom nicht näher erklärbaren spirituellen Zauber dieser speziellen Höhlenkirche.

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