164, Teil II: Vorbei

164, Teil II: Vorbei

Ägypten, Juli 2010.

Ich mochte es, von den warmen Wellen sacht getragen zu werden. Sprenkelnde Tanzkreise unter mir, Autoscooter von Papageienfischen, Drückerfischen, Feuerfischen, Barschen, Wimpelfischen, vielfältige, zerbeulte, poröse Gebilde aus Mollusken, merkwürdig weise und verständig dreinblickende Sepien. Eine Muräne stand mit geöffnetem Maul vor dem Eingang ihrer Höhle, ich fühlte mich nicht bedroht, besuchte sie immer wieder, irgendetwas verband mich mit ihr. Seesterne, Salz auf den Lippen, gleißendes Licht.

Ins Handtuch dürftig gehüllt, das Haar angetrocknet und völlig verstrubbelt, im Gesicht die Abdrücke der Taucherbrille, ploppend-knisterndes Wasser in den Ohren, betraten wir die Hotelanlage, da erschallte es schon, das Wumpa, Dumpa, Bumm, Bäng, in das sich kakophon mischte: “Clauuuuuudiiiiiaaaaaaa! Are You interested in climbing Mount Mosis?” Und was soll ich sagen, of course, I was.

Wieviele Stunden karrte der Bus uns durch die Nacht? Es herrschte verschlafene Stille, gelegentlich rieb man sich die Augen. Am Ausgangspunkt angekommen, wurden die Taschenlampen ausgeteilt, los ging´s. Mittlerweile war es drei Uhr morgens geworden, blaß blinkten vereinzelt Sterne. Ich staunte. Staunte über den Troß von Menschen, der sich den Weg entlangwalzte. Backpacker, Pauschal-Touris wie wir, Langzeitreisende, vor allem aber: Gläubige. Mir war nicht bewußt gewesen, als wie heilig der Mosesberg galt, der immerzu Pilger anzog wie Straßenlaternen schwirrende Falter. Für viele war es weder körperlich, noch seelisch ein Vergnügen, über das Gestein zu schreiten, das in endlose Treppenstufen gefaltet beständig nach oben führte. Ein wenig schämte ich mich, die Andacht der Leute zu stören bloß aus dem sportlichen Bedürfnis heraus, einen Gipfel zu machen. Besonders prägte sich mir das Bild einer äußerst korpulenten, älteren Frau ein, die in wallende Gewänder gehüllt in einfachen Riemchensandalen den Anstieg wagte, das Gesicht theatralisch leiderfüllt, arabische Laute ausstoßend, die ich als Flüche interpretiert hätte, wäre dies nicht ein blasphemischer Akt gewesen. Allmählich zog der Tag herauf, ließen die Lampen sich wegstecken. Ohne sonderliche Anstrengung zu verspüren, erreichte ich das Zielplateau, von welchem aus – so wurden wir kollektiv angehalten – der Sonnenaufgang zu bewundern sei. Ich verlor mich in der Betrachtung weich erodierter, rot-gelber Felsklötze, die die Erde übersäten wie aufgegebene, regenverformte Termitenhügel, jedenfalls amorph und lebendig wirkend. Ein Wind säuselte über die Flanke. Endlich wurde die Menschenmasse sonderlich still, jeder starrte gebannt auf den Horizont vor sich, ein milchig-trübes Gedünst, aus welchem sich erst sichelhaft, dann kugelrund in Gelb-Rosa-Flamingo-Glutrot der Sonnenplanet schälte, aufsteigend wie ein Heißluftballon. Plötzlich verstand ich den Kult der Alten Ägypter um ihre Sonnengottheit, kurz vollführte ich eine Zeitreise, einen Kulturwandel und schlüpfte in die Rolle eines ehrfürchtigen antiken Bauern, in die eines geschäftigen Hohepriesters, ehe ich als stinknormaler Pauschal-Touri wieder den Rückweg antrat, regelmäßig den noch immer in Scharen entgegenkommenden Gläubigen Platz machend, die verschwitzt und schnaufend Buße taten, Gnade und Läuterung erhoffend, während auf mich lediglich das kostenlose Buffet wartete.

 

Es war dies meine erste und letzte All-inclusive-Reise gewesen. Beim Abflug gen Deutschland spürte ich den leicht spöttelnden Blick der Lotte Hass auf mir ruhen – ihr Sharm el-Sheikh hatte ich nicht gesehen. Ihr Sharm el-Sheikh, das existierte längst nicht mehr.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert