161, Teil II: Banales Erinnern?

161, Teil II: Banales Erinnern?

Kenia, Februar 2019.

Es ist zufälligerweise nicht irgendeine gepflegte, blumenreiche, idyllische Unterkunft, sondern genau diejenige desselben Betreibers, der mich auch auf den Azoren beherbergt hatte und mit dessen damals achtjähriger Tochter Maisha ich mich so gut verstanden; mittlerweile fast erwachsen, wohnt sie in Nairobi, sodaß ich sie zu meinem Bedauern nicht wiedersah. Bunt gefiederte Vögel labten sich an Tränken und Futterstellen, freundliches Personal wässerte mit Schläuchen das schmückende Pflanzenmeer. Abends standen auf den Tischen des halb offen konstruierten Restaurants stets Blüten gefüllte Vasen, zu Valentinstag sogar Rosen. Ganz verdutzt war man, als ich bekundete, gerne den Küchengarten besichtigen zu wollen – die Lodge baute auf frische, ökologische Gemüse und Früchte, was mir imponierte. Die zuständige Gärtnerin beteuerte während der Führung, die sie mir zuteil werden ließ, immer wieder, es sei nicht der rechte Zeitpunkt im Jahr, das meiste abgeerntet, die Trockenheit erschwere die Kultur, etc. Sie schämte sich, keine überbordende Fülle präsentieren zu können, kein bewundernswertes Ergebnis, und hatte dabei nicht begriffen, daß sie es war, der meine Neugier galt, ihrem Tun und Leben. Ihr (und den Kollegen) verdankte ich meine köstlichen Salate und Platten, meine Verpflegung während meines Aufenthaltes, das war es, was ich zu schätzen wußte, ich war nicht aus auf ein Paradebeispiel großartiger Gartenkunst.

Mit dem schweren Rucksack über den Schultern stapfte ich den Weg durch das Resort entlang. Es war weitläufig, dicht bestanden mit jungen Bäumen, welche Touristen einmal gesetzt hatten; als Lohn für dieses Engagement war ihr Name auf Holztafeln verewigt worden, die bei dem jeweiligen Stamm staken. Direkt an der Abzweigung zu meinem Bungalow (nicht davor und auch nicht dahinter) prangte ein ganz bestimmter Name. Ich betrachtete die geschnitzten Buchstaben wohl recht lange.

“Stimmt etwas nicht?” fragten meine Nachbarinnen, zwei nette, recht geschwätzige Schwestern in ihren Fünfzigern, die stets mit auffallend lackierten Zehennägeln herumliefen, die eine von ihnen eine ehemalige Ballettänzerin. Ich sagte, daß mir einmal vor Jahren auf den Azoren ein Reiseleiter gefallen habe, ihn jedoch nie wieder getroffen und selbst auch gar nicht erwünscht gewesen sei mit meinen Schwärmereien, und daß ich von da an permanent in irgendeiner Form über ihn stolpere, ohne darauf gezielt hinzuarbeiten – auf das Schild vor uns deutend.

Als ich abends frisch zurecht gemacht, frisiert und geschminkt meinen Bungalow verließ, um mich ins Lokal zum gemeinschaftlichen Essen zu begeben, hielt ich verdutzt inne. Obwohl tief in Gedanken versunken, auf die fantastischen Zikaden lauschend und mich an der milden, süßen Luft und dem frühen, lauschigen Dunkel erfreuend, bemerkte ich es im Streiflicht einer Laterne dennoch sofort: das Schild an der Abzweigung, jenes Schild, das seinen Namen trug, weil er diesen Baum gepflanzt hatte, fast wie um mir zu sagen, daß er mir stets voraus sei, weiter, überlegen, ewiglich präsent, eben dieses Schild starrte mich mit der Rückseite an. Die harte, krustige Erde am Boden war aufgewühlt. Die Schwestern hatten es ausgegraben und umgedreht, das vermaledeite Ding! Ich lachte noch mit Tränen in den Augen, als ich das Lokal betrat, und als die Schwestern (immerhin etwa zwanzig Jahre älter als ich) mich glucksen sahen, zwinkerten sie mir entgegen und riefen im Chor: “Gern geschehen!” Unser Guide, Biologe, was sonst, lüpfte die Braue, entsagte sich aber eines Kommentars. Bis zu unserer Abreise blieb das Schild verkehrt herum in Position, dann beendete ich den Streich und brachte es brav in Ordnung, breit grinsend.

Kindisch, ich weiß, und banal. Indes: es bleibt mir nur das Erinnern momentan, minutiös, das kleinste Fragment ergreife ich. Jedes einzelne Fitzelchen Reise siebe ich aus dem Gedächtnis, es in Worte kleidend und bannend. Lockdown, Locked-in. Ich filme keine vierhundert Jahre alten Eishaie in grönländischen Gewässern; ich durchstreife in meiner Vergangenheit den Küchengarten einer kenianischen Lodge, mich träumend verlierend, während man mir vorsingt vom Ghost on the Shore.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert