160, Teil I: Was bleibt

160, Teil I: Was bleibt

München, Januar 2021.

Ein Lied hat mich gefunden, The Ghost on the Shore.

Warum macht man sich Gedanken darüber, was man einer Leserschaft zukommen lassen kann und was nicht, wenn diese Leserschaft im Wesentlichen aus einem selbst besteht? Wieso zensiert man, wägt ab, löscht, anstatt den Text einfach fließen zu lassen? Und andererseits, wenn man diese Überlegungen nicht wälzt, weshalb sollte man ein Webmedium nutzen, eine potentiell öffentliche Plattform? Im Lockdown stellt sich die Frage, was noch übrig geblieben ist von einem, von mir, – Schachmatt gesetzt, während die großen, ungelösten Lebensfragen immer schwerer und drückender werden, nun, wo man ihnen blank ins Gesicht zu blicken gezwungen ist. Fragen und Fakten: daß mir noch nie eine erfüllte und erfüllende Beziehung geglückt ist und ich wohl die Schuld daran tragen müsse, so wie überhaupt die Schuld des Versagens auf mir lastet, unentrinnbar und hart wie nie zuvor. Ich lese die Biographien großer Frauen, die Architektin Schütte-Lihotzky, die Kosmetikpionierin Rubinstein, staunend über deren Vision, Disziplin, Tatkraft, die konsequente Verwirklichung von Ideen, Projekten, Produkten. Mehr denn je bin ich ein Gespenst, das sich durch die Welt bewegt, ohne Spuren zu hinterlassen oder etwas zu erschaffen, das aufgenommen wird. Ganz sachlich und nüchtern kann ich dies feststellen. The Ghost on the Shore spielt mir in die Seele hinein.

Ohne W-Lan und Streaming bleibe ich auf das reguläre Fernsehprogramm angewiesen, die alten Interessen reizen noch immer, sich in die neuen hineinmischend: Haie in Kaltgewässern, u.a. der Eishai vor Grönland, emotional rührt das an Ereignisse der Disco Bucht (Beiträge 9 und 10), denn in meinem Erleben, Erinnern, ganzen Sein bleibt nichts isoliert, sondern verzahnt sich, verflechtet, verfilzt zu einem Konglomerat mit überhöhter Bedeutung. Wieder trete ich dem unbekannten Fremden, der Illusion einer Bekanntschaft auf die Füße – oder er mir? Natürlich stammen auch diese Aufnahmen von Teilen seines Tauchteams; die Augen des Eishais bohren sich in die meinen, als stünde ich ihm tatsächlich von Angesicht zu Angesicht gegenüber. Die Kamerafrau besitzt ungeheuer viel Charisma und Stärke, eine faszinierende Person, ich danke ihr für die Bilder, die sie mir auf die Mattscheibe zaubert. Irgendwie verfolgt mich das; es zeugt zum einem vom enormen Einsatz und Erfolg des Tauchteams, zum anderen von einer schicksalhaften Häme. Einmal zappte ich durch das Programm, um genau in jener Sekunde hängenzubleiben, in der ein Mitglied des Tauchteams als Kandidat der Sendung Wer wird Millionär vorgestellt wird, wie bizarr. Oder ich entschied mich nach etlichem Zaudern für eine biologisch geführte Tour durch Kenia, obwohl es eines der Länder gewesen war, in denen er als Guide gearbeitet hatte, nur um wirklich exakt in jener einen Lodge zu landen, in welcher auch er gewirkt hatte – woher ich das wissen könne?

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