154, Teil IV: Falsche Rolle

154, Teil IV: Falsche Rolle

Azoren, Juni 2012.

Ich wurde häufiger angemotzt. Weil ich zu lange unter der Dusche stand (es wurde mit einer Gaskartusche geheizt und daher rationiert, aber wie soll man denn das Shampoo aus dem damals über Po langen Haar kriegen?); weil ich eine Ecke vegan belegter Pizza vom Lieferservice wünschte; weil ich zu oft einen über den Durst trank (einmal erwischte ich derart viel von einem anläßlich des Pfingstfestes selbst gebrannten Klaren der Inselbewohner, daß ich mit einem Blackout auf der Bordsteinkante kauernd verblieb und von den Jungs heimgeschleift werden mußte, wo ich vollständig angezogen inklusive Wanderstiefeln im Bett einschlief – typisch, Laurachen, da hat man schon als brave, schüchterne Maus einen alkoholbedingten Blackout und pennt trotzdem allein und in gesamter Trekkingmontur, obwohl es an attraktiven Schnuckeln nicht mangelt, meine Güte). Angemotzt, weil ich langweiliges Gestein und massenhaft vorkommende Farnwedel fotografierte und immer wieder die blauvioletten Prachtwinden mit ihren silbrigen Seidentropfen, anstatt mir spannende Motive zu suchen. Angemotzt von einem Verehrer, den gab es nämlich auch, Shakespeare, sage ich nur.

Herbert war ein Bär von Mann, riesiggroß und etwas pummelig, bereits am Münchner Flughafen waren wir aufeinandergetroffen, gemeinsam den Verspätungswahn der TAP meisternd, der uns insgesamt zwei volle Reisetage kosten sollte (vgl. Beitrag 7). So wunderte ich mich zunächst nicht, daß er sich meist in meiner Nähe aufhielt. Wir teilten die Neugier an Pflanzengewächsen, und als ich herausfand, er würde unterwegs seinen Grburtstag feiern, organisierte ich als Gruppengeschenk ein Fachbuch über die Botanik der Azoren (dessen Autor der Sohn eines späteren Reisebekannten war, mit dem ich 2015 Soqotra erkunden sollte, welch ein Zufall!). Zu zweit jedenfalls flanierten wir durch das verschlafene Örtchen, weiter zu den Weinbergen, deren jahrhundertealtes Bestellungssystem dem UNESCO Kulturerbe angehört, unterwegs in winzige Vorgärten spähend, hübsch gestaltet mit blühenden Exoten. Viele Häuser standen in Ruinen, Fenster waren zersprungen, die Gemäuer brüchig, Fassadenfarbe blätterte in mehreren Schichten ab, Sträucher und Ranken hatten sich des dachlosen Inneren bemächtigt, zu uns herüberkragend. Rustikale Boote lagen verstreut, ob sie je wieder auf Fischfang gehen würden? Manchmal blieb nichts von ihnen übrig als ein Plankengerippe.

Wir hörten den Saurierruf eines Graureihers, der dicht über unseren Köpfen hinwegflog, eine Mauer passierend, weg aus unserem Blickfeld. Herbert setzte sich in Bewegung. “Was tust du?” fragte ich verwirrt, als er auch schon die Klinke des Eisentores niederdrückte und einfach auf dem fremden Grundstück verschwand.

“Spinnst du?” zischte ich. “Du kannst doch nicht…” Er konnte.

Ich folgte zögerlich, stark mit eventuell anwesenden Anwohnern rechnend. Inmitten eines malerischen Patios, in dem in prächtigen Kübeln opulent milka-gletschern die Schmucklilien prangten, verharrte in verzückter Beobachtung der stämmige Herbert, fasziniert den Reiher studierend, der in statuettenhafte Pose gebannt auf dem Rasen stak wie eine filigrane Marmoskulptur. Mich amüsierte Herberts Euphorie über die Sichtung eines doch recht gewöhnlichen Vogels, es machte ihn mir sympathisch.

Wir führten nach einer Weile den Spaziergang fort hin zum heftig rollenden Meer, kurz zuvor hatte es wieder geregnet, wir troffen noch vom letzten Schauer. Das Meer, oh, das Meer! Salz und Freiheit, Brausen, Wirbeln, Donnern, hallo Freiheit, willkommen Sehnsucht, ich tauche in dich ein, Poesie! Herbert quatschte, ich ließ ihn reden. Herbert war eine Plaudertasche, wie überhaupt viele Männer unglaublich oft nicht den Mund halten können, in Geschwätzigkeit den Frauen in nichts nachstehen, nervig bis zum Überdruß. Ein Mann, der nicht weiß, wann man genüßlich-einvernehmlich die präsente Stille von Raum und Zeit auskostet, ein solcher Mann ist unabhängig vom äußeren Habitus derart unsexy… Irgendwann waren Herberts Worte doch noch versiegt. Die Wellen türmten sich auf, schnappend, nach uns greifend in hohen Bogen, wieder und wieder. Wir schlenderten vorüber an der Hafenspelunke, am eingefaßten Kai, der Ozean tollte uns entgegen, unberechenbar, stark, ein inneres Lächeln breitete sich aus in mir, Frieden, Glück, Ozean, herrliches Wesen, Meer –

“JETZT SAG HALT ENDLICH MAL WAS!!” brüllte es mich von der Seite her an, daß mir das Herz stehen blieb vor Schreck.

Herbert funkelte mich wütend an. Ich staunte, zu welch einem Vulkanausbruch dieser sanfte Riese fähig war. Diagnose: null Feingefühl, von Romantik keine Ahnung. Schnauzen und ur-rauer Atlantik, das paßte nicht zusammen, genauso wenig Herbert und ich, der mir kurz nach der Tour einen putzigen hanschriftlichen Brief schickte, in dem er “gestehen” wollte, daß er mich “durchas attraktiv” finde.

Shakespeare, eben – leider in den falschen Rollen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert