141 Versöhnliche Geste

141 Versöhnliche Geste

Costa Rica, August 2014.

Manche Unterkünfte sind so schön, daß es einem fast das Herz bricht, sie nach nur einer Nacht wieder verlassen zu müssen. Jene gepflegte, herrlich bepflanzte Anlage am Rincón de la Vieja Nationalpark gehörte eindeutig dazu. Über schmale, mit behauenem Naturstein verlegte Pfade, die dicht von bunten, fröhlichen, hüfthohen Blumen gesäumt waren, ging es zu den einzelnen Bungalows, rustikal-zweckmäßig erbaut und eingerichtet. Den Rezeptionisten, ein schmaler Jüngling von höchstens zwanzig Jahren in gestärkter, knitterfreier Uniform, hatte ich bereits einige Nerven gekostet: zunächst benötigte ich Reparaturmaterial, das eine gebrochene Schnalle an meinem großen Rucksack – mein Hauptgepäckstück von 60 Litern Volumen – fixieren sollte, dann bat ich ihn darum, den PC verwenden zu dürfen: adäquates Mobilfunknetz gab es keines und ein internetfähiges Smartphone zur Nutzung des W-Lans besaß ich damals nicht. Ich wollte meine Mails checken sowie eine kurze Benachrichtung über mein eigenes Wohlbefinden schicken – ein tiefes, unauslöschliches Bedürfnis, seit ich einst auf einer Reise mit Tagen der Verzögerung vom Tod meiner Schwester erfahren hatte, weil ich auf Galápagos nicht erreichbar gewesen war. Nun jedenfalls waren meine Anliegen befriedigt, die Schnalle provisorisch befestigt, der Hotelcomputer beansprucht, ich konnte mich aus dem Empfangsraum zurückziehen weg vom verkniffenen Angestellten hin in mein kleines Paradies. Schnaufend watschelte ich die unebenen Wege, die sich malerisch aber wenig effizient durch die Gegend schlängelten, entlang, das Rucksackmonster über meinem Buckel schaukelnd und scheuernd. Es war dämmrig geworden, die Blumen dufteten in zarten Schwaden.

“Hoppla!” Beinahe wäre ich über den Steinbrocken gestolpert, der auf meiner Terrasse lag. “Das ist aber gefährlich.” dachte ich mir, insgeheim die Angestellten tadelnd. Ich stieg unelegant darüber hinweg, meine Last auf dem Bett abwerfend. Ich kramte nach meinem Freßpaket, welches ich mir vom Frühstückstisch des vorigen Hotels abgestaubt hatte: ich brauche abends nicht allzuviel, empfinde die lange Hockerei in irgendwelchen Restaurants als Zeitverschwendung. Lieber duschte ich, wusch mein bis zum Po reichendes Haar, genoß die Stille der Ungestörtheit und die laue, hereinbrechende Nacht in einem exotischen Land, während die Zikaden zirpten und gelegentlich Sterne durch die Wolkendecke blinkten. Ich fläzte mich auf dem Stuhl der Veranda, Weizenfladen und Bohnenmus mampfend, mit dem Blick die Wipfel des Trockenwaldes streifend. Ich runzelte die Stirn. War der Stein vorhin nicht woanders gelegen, mehr links? Ich kaute weiter, den faustgroßen Klumpen studierend, der – je länger ich ihn mir besah – zu einem Fantasiegebilde heranwuchs, hier eine Wölbung, da ein Muskel, vielleicht ein Beinchen. Zwei Augen. Zwei stierende, mit Stecknadelköpfen versehene Pupillen. Ich verschluckte mich fast, als es ruckartig einen Hüpfer nach vorne tat: der Stein war in Wirklichkeit eine grotesk gestaltete, gedrungen-kompakte Kröte! Nach meinem ersten Schrecken huschte ich schnell ins Innere des Bungalows, die Kamera zu holen. Ich zog die Tür hinter mir zu. Oh! Die Amphibie war verschwunden, zu meinen Füßen lagen nichts als die Holzdielen. Enttäuscht wandte ich mich der Tür zu. Der nächste Schreck fuhr mir durch die Glieder: es prangte dort nur ein unbeweglicher Knauf, die Schlüssel hatte ich auf dem Couchtisch liegen lassen. Ich kuckte an mir herunter; wer mit mir reist, weiß, was sich einem bot: ein uraltes Schlafgewand aus einst heller Baumwolle, ausgeleiert, fadenscheinig geworden, lappernd, mit unzähligen kleinen Löchern bestückt, dazu ein ungeschminktes, fett glänzendes da eingecremtes Gesicht und ein Handtuchturban über den triefnassen Haaren… Na, die Schlappen trug ich, immerhin! Ich pirschte mich durch das lediglich von romantischen aber schwachen Laternen beleuchtete Dunkel, mich die unebenen Wegplatten entlangtastend. Unglücklicherweise mußte ich am Resort eigenen Lokal vorbei, als Design-Gag ausschließlich bodentief verglaste Fenster, hinter denen proppenvoll die Urlaubsgäste verweilten, gemütlich speisten; Besteck klapperte, Gläser klirrten, manche genossen einen Cocktail, andere Bier oder Wein, auch Mitglieder meiner Gruppe machte ich darunter aus; ich spürte, wie mir die Röte der Erniedrigung in beide Wangen schoß, geschwind hastete ich weiter. Flapflap, machten die Schlupfen, Flapflap. Endlich erreichte ich die Rezeption, und dort thronte – nein, welch lange Schichten leisten die denn ab?! – der mir zu gut bekannte Jüngling. Überrascht aber freundlich kuckte er mir Hexengespenst entgegen.

“Yes, Please?” fragte er höflich. Daß ich mich versehentlich ausgesperrt habe, erklärte ich hastig. Da erkannte er mich an der Stimme, wobei sich seine Miene pechschwarz verdüsterte. Mißmutig suchte er ein Zweitexemplar heraus, das er mir allerdings nicht aushändigte. Stattdessen beharrte er darauf – wohl als selbstverständlicher Service -, mit mir mitzukommen. Mit vor der Brust verschränkten Armen, ich trug ja auch keine Unterwäsche, huschte ich die mehrere hundert Meter lange Strecke zurück. Dieses Mal, man war quasi vorgewarnt, grinste mir ein schadenfrohes Publikum entgegen, offensichtlich das gesamte Lokal amüsierte sich über meinen wenig rühmlichen Auftritt in Schlabberklamotte und tadellos uniformierter Begleitung, ich hätte im Boden versinken können vor Scham, schimpfte mich innerlich aus, zeterte wie die heimischen Spatzen, wenn sie sich um das Erdnußfutter balgten. Kurz vor meinem Bungalow hielt der Rezeptionist inne. Er brach etwas vom Wegesrand, das er mir mit galanter Verbeugung reichte: eine wunderschöne, im Mondlicht weiß glitzernde Orchideenblüte, die nach Balsam und Überschwang roch, mir unwillkürlich ein Lächeln ins Gesicht zaubernd. Auch der Rezeptionist wirkte plötzlich milde gestimmt. Er hatte Mitleid mit mir und meiner durchlittenen Peinlichkeit. Die Blume tröstete mich sehr, ich studierte sie noch lange, nachdem er mir aufgeschlossen und Einlaß in meinen Bungalow gewährt hatte. Schade, daß es anderntags schon wieder Ade sagen hieß, ich hätte die Anlage gerne noch ein wenig entspannter erkundet.

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