120, Teil III: Romantische Saite

120, Teil III: Romantische Saite

Portugal, November 2019.

Der Reiseführer lobte überschwenglich das historische Interieur des Cafés Santa Cruz in Coimbra, direkt an den gleichnamigen Konvent angrenzend. Tatsächlich, als ich die Tür öffnete, schrie alles nach Gründerzeit: die schwarz lackierten, sperrigen Stühle mit geprägten und Nieten versehrten Ledermontierungen, die oktogonalen Marmorplatten auf dreibeinigen Balustern, die dunkel gebeizte Kassettierung voller Rauten und Kreuzmuster, die Giebel gekrönten Spiegel; die komplette Einrichtung schwankte zwischen nostalgisch und erdrückend. Lediglich das große, das Entrée umspannende Glasfenster wies Jugendstilelemente auf, wenngleich stark durchtränkt von neo-mittelalterlichem Gepränge à la William Morris. Eröffnet worden war das Café 1923 in einem 1530 errichteten Kirchengebäude, dessen verschlungene Rippenstrukturen und grobe Rosetten am Deckengewölbe noch immer auf die Gotik verweisen. Zwischenzeitlich waren dort eine Polizeistation, ein Pfeifengeschäft und eine Feuerwehr untergebracht gewesen – Räume von wechselhafter Geschichte, in denen ich nach einem psychischen Drama im klaustrophobisch engen Parkhaus meine Nerven zu beruhigen versuchte bei frisch gepreßtem Orangensaft, Cappuccino und berühmtem, winzigen Mürbteigcremegebäck aus der Klosterbäckerei. Eine Mutter, das lange Haar schlumpfblau gefärbt, fütterte ihr Baby. Die livrierten Kellner plauderten mit den Stammgästen. Ein Amerikaner fotografierte ohne Unterlaß das zugegeben eigenwillige Ambiente. Ansonsten war es eher ruhig, perfekt, um schreibend das bisher Erlebte zu reflektieren.

Drei UNESCO Welterbestätten, drei Klöster: Tomar, Batalha, Alcobaça, drei Komplexe, berstend vor Details, Prunk, vormaliger Eleganz, inzwischen stark patiniert wie fast alles, was ich in Portugal erkundet hatte. Der vollendete Sinn für Ästhetik, die Liebe und Hingabe zum Verfeinerten ließen mich fast erstarren vor Ehrfurcht. Die Kreuzgänge, die ich gemächlich vorüberwandelte, bestanden aus Steinarbeiten, die der Schwerkraft trotzten, sich in Filigran auflösten und geklöppelter Spitze glichen. Manchmal hielt ich mich in die unwirkliche, unmögliche graphische Welt eines M. C.  Escher oder Giovanni Battista Piranesi versetzt angesichts der verschachtelten Treppenaufgänge, zuweilen sich wie gedrechselt in die obere Etage hinaufschraubend; Überschneidungen in den Architekturstrukturen, gestaffelte Wiederholungen, Säulen wie Bäume lösten die Grenze auf hin zum Organischen, Lebendigen. Wieviele Stunden nicht waren verwendet worden auf die Ausgestaltung, wieviele Hände hatten da gewirkt, Gebilde aus dem festen Stein zu schälen, Bilder zu malen mit dem Meißel, kratzend, schlagend, einen Formenreichtum hinterlassend, den der moderne Betrachter flüchtig streift mit den Augen, den er geschwind bannt via Smartphone oder Spiegelreflex, Sekundenkonsum von etwas, das Monate, Jahre, Jahrzehnte in Anspruch genommen hatte, ich mochte mich da nicht ausnehmen aus diesem Vorwurf, nicht einmal Ausschnitte abzuzeichnen, könnte ich die Geduld aufbringen… Die Küchenflucht in einem der Klöster, datierend aus dem 18. Jahrhundert, warf mich fast um: die kleinformatig-quadratischen, weiß glasierten, glänzenden Fliesen an den hoch aufragenden, sich in ungewöhnlichem Winkel treffenden Wänden, der asymmetrische Kaminschlot, die gesamte Stimmung des (entleerten) Interieurs entsprachen dem zeitgenössischen Geschmack und waren einer mehrseitigen Reportage in einschlägigen Hochglanzmagazinen mehr als würdig.

Zwei marmorne Sarkophage, in getrennten Seitenschiffen einer der schlanken, steilen Kirchen untergebracht, erregten meine Aufmerksamkeit. Sie waren im gleichen, überbordenden, kleinteiligen Stil gestaltet, bombastisch in den Ausmaßen, von geflügelten, manierierten Wesen getragen und offensichtlich als Paar angelegt. Die liegenden Skulpturen der dargestellten Toten konnte ich kaum erspähen, so weit oben ruhten sie, von Engeln umringt. Das gesamte Ensemble verströmte eine friedvolle Stille. Laut Informationstafel handelte es sich um die Stätten des Thronfolgers Pedro I (1320-1367) und dessen Geliebter Ines de Castro (1320-1355) aus einem kastilianischen Geschlecht, welche letztere vom amtierenden König hingerichtet worden lassen war, um politischen Quereleien verschiedener Adelszweige und somit kriegerischen Auseinandersetzungen vorzubeugen. Er hatte dabei nicht gewußt, daß der Sohn und die Angebetete bereits heimlich verheiratet gewesen waren und er somit die eigene Schwiegertochter ins Grab gebracht hatte. In seiner untröstlichen Trauer hatte Pedro I die Sarkophage in Auftrag gegeben und verfügt, daß beide nach dem eigenen Ableben in der Vierung des Hauptschiffes nebeneinander aufgereiht werden sollten, ein Edikt, dem man bis 1810 nachgekommen war, ehe unter Napoleon I die Gräber geschändet worden waren. Im Jahr 2019 findet man sie restauriert aber in die jeweiligen Seitenschiffe separiert vor, der eine da, die andere dort, jene Tragik aufgreifend, die keine Zweisamkeit erlaubt, weder im Leben, noch im Tode. Meine romantische Saite, sie zitterte und bebte einer Liebe wegen, die nicht sein durfte und trotzdem war.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert