116, Teil III: Ewige Feuer

116, Teil III: Ewige Feuer

Türkei, Lykien, Oktober 2019.

Es zischte und fauchte leise, ein Campern vertrautes Geräusch, denn genauso klingen angeworfene Gaskocher. Die Sonne knallte mir aufs Haupt, die ich auf dem grauen Gesteinsgrund saß, „Elephant´s Breath“ nennt die britische Farbenfirma Farrow&Ball diese Nuance. Die anderen hatten sich mit müden Gesichtern in den Schatten zurückgezogen, den spachtelige Bäumchen spendeten: sie hatten die Ruinen erobert, große Quader, zu einst stattlichem Mauerwerk geschichtet. Ausgerechnet ich, die ich über das starke grelle Licht geklagt hatte tagelang während der Wanderungen, über die stechend-weiße Hitze, die das Hirn in wattierten Schwindel bettete, der ihr Kreislauf ungewohnt zu schaffen gemacht hatte, ich nun kauerte ungeschützt in der türkischen Tagesglut, völlig gebannt von diesem Feuerwind, der mir da aus Löchern, Ritzen, Spalten entgegenspuckte… Die Öffnungen waren recht klein, die Ränder schwarz angerußt. Die zuckenden, sich windenden Flammen erreichten vielleicht zwanzig, dreißig Zentimeter an Höhe, das hüpfende Orange-Rot war bloß schwach auszumachen, die Umgebung zu hell. Ich wünschte nicht die Nacht herbei, obwohl ich mir famos vorstellen konnte, wie ergreifend dieser Reigen sich in der blausamtenen Dunkelheit ausnehmen müsse.

Bereits vor mehreren tausend Jahren hatten die Ewigen Feuer, die Chimären von Olympia, die Menschen fasziniert, sodaß Heiligtümer und Kultgebäude um sie herum errichtet worden waren. Die Gebäude hatten sich lediglich in mickrigen Resten gehalten, die selbst einer Architektur geschulten Person wie mir viel Phantasie abnötigten, um die damalige Pracht zu imaginieren. Die Flammen jedoch sprudelten weiterhin aus dem Felsgrund wie die jungfräuliche Quelle eines später reißenden Flusses. Sie wanden sich seitwärts, jagten nach oben, zogen sich kompakt zusammen, irrten hektisch umher. Meine Kamera klickte, fror die Formen statisch ein, sogar das Standbild dieses Phänomens dünkte mir beeindruckend. Um mich herum erhoben sich die Kiefern bedeckten Berge, es duftete nach Baumharz, der Himmel wölbte sich in unbedarftestem Blau, sanft gescheckt von Wolkenflaum. Das Beobachten der Flammenbewegungen wirkte wie ein optisches Mantra, ich fühlte mich ruhig, auf schöne Weise leer, geborgen. Ich genoß die Hitze der Feuerzungen, die heißen Steine unter Po, Beinen und Fingern. Ich wußte: die Ewigen Feuer brannten nicht seit Jahrtausenden. Sie brannten seit Jahrmillionen. Sie sind das Älteste, das Beständigste, dem ich je begegnen durfte. Sie brannten bereits, noch bevor die Menschheit geboren war; und egal, was kommen mag, in meinem Leben, im nächsten Jahrhundert, sie werden zunächst weiterlodern. Nicht auf ewig, natürlich nicht, aber in Menschenspannen gerechnet doch beinahe unendlich lange. Ich finde das unbeschreiblich tröstlich.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert