105, Teil I: Von Türen und Fenstern

105, Teil I: Von Türen und Fenstern

München/ Norwegen, September 2019.

 

Symbolisch schließen manche Türen sich mit einem lauten Rumms!, der fast einer Ohrfeige gleichkommt und einen ratlos, verärgert, gekränkt zurückläßt.

Wenn man den Wunsch gehegt hatte, in die wissenschaftliche Forschung zu gehen und völlig unerwartet aus niederen Gründen die Promotion verwehrt ist; man vom Schicksal vor vollendete Tatsachen gestellt wird und man bereits eine Dekade lang ein aufgezwängtes Grab pflegt, das noch nicht hätte sein müssen; wenn Menschen sich gegen einen entscheiden, gegen Kontakt und Miteinander und Möglichkeiten, die ganze parallele Universen zu füllen imstande gewesen wären.

Diese Tür hingegen wurde tatsächlich zugezogen, sanft und leise mit Respekt und Rücksicht, ein letztes, kaum hörbares Ade. Ein Kartenhaus, das ohne Windstoß in sich zusammenbricht, unscheinbar irgendwo in einem jüngst aufgetanen Raum der Seele, ein federleichtes, unbeschwertes, heiteres Kartenhaus, plötzlich nicht mehr als der Flügelschlag eines auffliegenden Schwarms aus sieben Schneehühnern.

 

Vielleicht achtet man im Leben zu sehr auf imaginäre wie reale Türen, während man die Fenster übersieht. Fenster, welche Ausblick gewähren auf einen völlig anderen, fremden biographischen Entwurf: eigenhändig gezimmerte Holzhütten inmitten eines nordpolaren Birkenwäldchens, von Bergkämmen umfangen, Fluß durchrauscht, Heimat fünf fetter, rosa, glücklicher Schweine, dreier Bienenstöcke, vier bis fünf zahmer Rentiere und beinahe 90 Schlittenhunden. Ein eigenes Boot, mit dem man durch die Bucht von Tromsø segelt hinaus in die Welt, oder sagen wir nach Shetland und Schottland. Es sind die Fenster, aus denen sich die alten Leute lehnen, um teilzuhaben am Treiben auf der Straße, das zu anstrengend geworden ist für sie. Es sind die Fenster, die uns sagen: da ist noch etwas da draußen, die Welt endet nicht mit den Ausmaßen deines Körpers, Denkens, Fühlens; es gibt anderes, weiteres, unter Umständen besseres, schöneres, oder auch traurigeres, schlimmeres. Das Fenster hilft, sich neu auszurichten, den inneren Kompaß zu eichen.

 

Als die rustikale Hüttentür sich schloß, behutsam, mit kaum vernehmbarem Knarrzen, einen allein zurücklassend, wieder auf sich selbst zurückgeworfen, da war ich dankbar für das Fenster, durch das ich eingeladen gewesen war, zu schauen, zu beobachten, anregendes kennenzulernen. Es bleibt die Erinnerung an zufällige Berührungen, sich streifende Fingerkuppen, an Blicke, die das eine bedeuten mochten oder das andere oder gar nichts.

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