184 Sich eines Besseren belehren lassen
Bulgarien, Mai 2019.
Reihe um Reihe Hecken aus blühenden Büschen, behangen mit Knöpfen aus Seidencrepe, taubesetzt, Düfte verhauchend: Damaszenerrosen. Wir Touristen stapften vorüber an den kleinparzelligen Ökoplantagen, vermutlich die Pflücker belästigend, Sinti und Roma, die zu niedrigsten Löhnen in rasendem Tempo die Blumenköpfe brachen, sie in Säcke stopfend, um sie später bei der nahen Destillerie abzuliefern. Die Sonne lachte herab, die Tropfen auf dem Gesträuch in einen Glitzerreigen verwandelnd. In der Fabrik trugen wir weiße Überzieher, Mäntel, Hauben, die Gerätschaften bestaunend, die Prozesse erklärt bekommend – kaum etwas davon paßte in meinen Kopf… Aber reines Rosenwasser, das kaufte ich dutzendfach, weil die Rose meine Kaiserin ist, mich betört in all ihren Erscheinungsformen. Tatsächlich hatte ich eine Rosenreise gebucht, eine Tour gespickt mit höfischen und privaten Gärten, Blumenfarmen, dem berühmten Rosenfestzug in Kazanlak und Klöstern (die wiederum nichts mit Rosen zu tun hatten, sondern mit bulgarischer Vergangenheit und religiöser Gegenwart). Wehmütig blickte ich vom Busfenster aus auf die Gebirge: Rila, Rhodopen, Pirin… Ein andern Mal!, schwor ich mir. Mit Bitternis denke ich daran zurück, an den Vorsatz, der Ewigkeiten zurückzuliegen scheint.
Ich sah Felder vorüberfliegen, Mohn betanden. Nacht- und Königskerzen knallten ihr Gelb entgegen, filigraner wilder Rittersporn wogte ultramarinblau zwischen den ungemähten, dschungelhohen Gräsern. Die Mauern eines Dorfes waren beinahe vollständig mit schwarz-weißen, kunstvollen Graffitti besprüht, Portraits bedeutender Persönlichkeiten aus Politik, Kultur, Gesellschaft; ich bat darum, kurz aussteigen zu dürfen – die Zeit sei nicht, sagte der Reiseleiter. Zehn Minuten? Mich verwunderte weniger das beharrliche Nein, als viel mehr das mangelnde Interesse der restlichen Gruppenmitglieder, immerhin gut zwanzig an der Zahl. In mein Bedauern von damals mischt sich jetzt der Ärger, mich an niemanden entsinnen zu können, als eine gesprayte Angela Merkel… Gepflegte Grundstücke, sogar das Laub wurde fleißigst von den Straßen gefegt. Ein alter Mann, wie er den Reisigbesen schwingend mit den Blättern eines knorrigen Apfelbaumes kämpfte, verbissen und vergnügt zugleich. Ich mochte die Leute in Bulgarien – Bulgarien mochte ich. Neben den Rosen hatte mich der Wunsch gelockt, mit meinen Vorurteilen aufzuräumen: ein wohl hundert Personen zählender Roma- und Sinti- Clan aus Osteuropa, die meisten eben aus Bulgarien stammend, hatte sich ein paar Jahre zuvor im gesamten heimatlichen Ort ausgebreitet, ungeheure Mengen Müll produzierend und auf offener Straße, im Wald entsorgend, abwechselnd Schrottkarren und Luxuswagen fahrend (darunter ein goldfarbener Ferrari neben Bentley, Maserati und Hummer), die Kennzeichen tauschend (besonders lustig, wenn ein uralter Mercedes plötzlich ein E -Kennzeichen für Elektroantrieb aufweist), mit Pistolen hantierend (man gewöhnt sich tatsächlich an alles, selbst an mit Waffen herumfuchtelnde, pickelige Teenager auf dem gegenüberliegenden Balkon…) und einen Lärm verursachend in Form von ununterbrochener, komplett aufgedrehter Disco-Beat-Musik, den sich keiner vorstellen kann, der es nicht selbst erleben muß. Menschen, die nicht mit sich reden ließen und bei denen oft täglich ein Polizeiauto vorfuhr, zusätzlich zum regelmäßig gerufenen Krankenwagen. Zeuge der einen oder anderen Verhaftung wurde man ebenfalls, wenn man sein Mittagessen kochte: das Küchenfenster als Fernsehkrimi. Kurz: ich hatte Wut auf Bulgaren. Und ich wußte, diese Wut war zu pauschal, zu stereotyp. Ich wollte in das Land reisen, um die Zustände und Menalität dort mit eigenen Augen zu sehen und meine Meinung emotional zu revidieren. Natürlich wurde ich eines besseren belehrt: ordentliche, ruhige Leute in sauberen Städten (freilich von der Architektur her oft noch kommunistisch geprägt), die lachten, ihre Hunde ausführten, durch die Gassen schlenderten und zu einem angenehmen, friedlichen Flair beitrugen (böse Buben wird es wohl geben, wie überall, und auch die Mafia wird aktiv sein, aber als flüchtiger Tourist begegnete man netten, hilfsbereiten Leuten). Übrigens, falls es interessiert, hat sich die Situation auch bei uns im Ort deutlich gebessert, nachdem mehr als sieben Jahre verstrichen sind und eine gewisse, allmähliche Angleichung an unsere Gegebenheiten stattgefunden hat.
Ich war bloß kurz eingetaucht in Bulgarien, möchte zurück, nicht der Damaszenerrosen wegen oder der Sinti-Roma-Nachbarn, sondern um die Berge zu besteigen, die Wälder zu durchstreifen, vielleicht mit Milen, dem damaligen Reiseleiter, dem sich jedes Mal – wirklich immer! – wenn er zum Reden ansetzte, ein Lächeln auf die Lippen stahl und bei welchem dann die Sonne aufleuchtete in den schwarzen Augen, und dessen Leidenschaft die Landschaftsfotografie war. Milen, zu dem die anderen versehentlich Milan sagten, den Greifvogel assoziierend, ein sanftmütiger, introvertierter Mensch, dem ich – wie es eben meist so kommt – wahrscheinlich nur mehr in den Erinnerungen begegnen werde.