185 Salonleben und Waldlauf

185 Salonleben und Waldlauf

Niederlande, Juni 2018.

Wir waren eingeladen in eines der schmalen, hochherrschaftlichen Stadthäuser Amsterdams, an einem ruhigen Kanal gelegen, die Architektur ehrwürdig und niedlich zugleich, ein wenig Zuckerbäckerdekor, nicht zu viel, genau richtig, die imposante Schwere des scharfwinkligen Giebels auszugleichen. Im winzigen Entrée geriet ich sogleich ins Staunen: auf altem, von Schritten glatt polierten Steinboden standen genau zwei Gegenstände: ein von Angelika Kauffmann – gute Freundin Goethes – bemalter Holzstuhl sowie ein aufwendig gestaltetes Schaukelpferd des 18. Jahrhunderts. Ebenerdig schloß sich die Küche an, bauchige, glänzende Kupfertöpfe und – pfannen, an Nägeln aufgehängt, thronten über Hightechgeräten, der Fliesenspiegel aus teils originalen (!) Delfter Kacheln bestehend. Eine Wand war komplett verglast, ließ sich in luftigen Flügeltüren öffnen hin zu einem kleinen, feinen Innenhof, gepflastert, mit verschnörkelten, weißen Gußeisenmöbeln versehen, gerahmt von Ornamenten aus Buxrabatten, Rosen, Anemonen. Seitlich der Mitte füllte eine gigantische Blutbuche den Garten aus. Die Dame des Hauses, eine sympathische, warmherzige Mittsechzigern, geschmackvoll hergerichtet, ohne übertrieben zu wirken, war eine nähere Bekannte unserer Reiseleiterin, die uns stolz (nicht eitel) zeigte, wie sie wohnte und lebte. Sie hatte ein Gespür dafür, die engen, eher dunklen Räume und Flure mit Farben, Textilien, Antiquitäten so zu gestalten, daß sie tatsächlich “frei” und leicht wirkten, edel ohne Protz, authentisch. Ich muß sagen, ich bewunderte unsere Gastgeberin für ihre Gelassenheit, ihr Vertrauen, als ich die Schätze gewahrte, alter Familienbesitz, die die Wände und Zimmer zierten: feuervergoldete, klassizistische Kerzenlüster als Appliken, eine seltene holländische Standuhr mit Sonnen- und Mondverzierung auf Ziffernblatt und Pendel (17. Jahrhundert), Ahnenportraits in hervorragender Qualität (darunter eine mondäne junge Frau in Art Déco Manier, angetan mit Seidenchiffon und Perlen), die Teppiche am Boden handgeknüpft und pflanzengefärbt, die feinen Porzellanvasen ohne jeden Chip, sogar ein makelloses Gedeck – Teetasse mit Unterteller – aus Rozenburger Eierschalenporzellan war darunter, geschätzter Wert: achttausend Euro (also nur die Tasse mit dem Unterteller…), alles stand frei herum ohne jede Sicherung. Mich würde die Sorge vor Einbrechern umtreiben, führte ich wildfremde Personen als Gruppe durch dieses Daheim; vielleicht nicht unbedingt sie selbst als Krimininelle, aber man kennt das ja mit der Mund-zu-Mund-Propaganda, und wie schnell geraten Dinge an falsche Ohren; noch mehr jedoch fürchtete ich die Unbedarftheit und Tollpatschigkeit der Leute, die es tatsächlich wagten, diese außergewöhnlichen Gegenstände anzufassen… “Oh, wie hübsch!” trällerte eine Seniorin, eine filigrane Tasse lüpfend, sie den anderen präsentierend, Blumenranken und exotische Vögel, ja, richtig, das Rozenburger Eierschalenporzellan – ich atmete erleichtert aus, als sie sie wieder unbeschadet abgestellt hatte… Ein anderer Herr trampelte die Stiege herauf, an deren Ende (zur optischen Weitung) ein vorbildlich museumswürdiger Barockspiegel hing; der Mann wendete oben angekommen aprupt, seinen großen Rucksack gegen die Spiegelschnitzerei donnernd – ich schloß die Augen, während mein Herz stehenblieb. Er selbst hatte nichts bemerkt, marschierte weiter, sich umsehend im ersten Stock. Als ich wagte, wieder zum Spiegelrahmen zu blicken, stellte ich seufzend fest, daß er glücklicherweise heil geblieben war. Obwohl mir dieses Amsterdamer Wohnhaus und sein Garten sehr gefallen hatten, war ich als Kunsthistorikerin mit Antikmarktkenntnissen wirklich froh, als dieser Programmpunkt hinter sich gebracht war… (Die Situation erinnerte mich stark an das Schottische Jagdhaus damals im Mai 2016 (vgl. Beitrag 55).)

Es handelte sich um eine Gartenreise. Ich liebe Gärten! Liebe Gartenreisen! Wenngleich ich stets um Jahrzehnte die jüngste teilnehmende Person bin, egal. Oft trifft man dort auf faszinierende ältere Menschen, die man sich als Vorbild nehmen kann, lernt spannende Lebensgeschichten kennen, heitere Ruhe, pfiffigen Kleidungsstil, etc. Die Kehrseite ist das niedrige Aktivitätspotential der Gruppe, und dies zu einer Zeit, in der ich auch noch im Übertraining gewesen war (mit durchschnittlich vier Stunden Sport bzw. Bewegung täglich), es war mir schier unerträglich, das ewige Herumsitzen, Schlendern, Trödeln, aller schönen Pflanzen und Gebäude und Ortschaften zum Trotz. Das Hotel lag in ´s-Hertogenbosch (Herkunftsort des bizarr-mysteriösen Renaissancemalers Hieronymus Bosch, berühmt für seine bis heute teils unentschlüsselt gebliebenen Höllendarstellungen). Direkt am Wald! Uns blieben neunzig Minuten bis zum gemeinsamen Abendessen, prima, ich schlüpfte in entsprechende Klamotten und joggte los. Ah!!! Laufen, die Muskeln spüren, Atmen, tief und schnell zugleich, im Rhythmus mit dem trommelnden Herzen. Luft für meine Lungen, würzige, erdige, harzige Sommerluft. Der Forst bestand überwiegend aus Laubbäumen, das meiste davon Buchen. Die Wege schlängelten sich breit mäandernd an den dicken Stämmen entlang, es handelte sich um ein ausgewiesenes, gut erschlossenes Reitergebiet von märchenhafter Atmosphäre. Tatsächlich kam das eine oder andere Pferd vorüber, meist aber passierten mich Drahtesel. Ich genoß die mir unbekannte Umgebung, die Sonnensprenkel und Kleckse auf dem Grund, das zarte Rauschen des Blätterdaches, die friedvolle Stimmung. Es war schön, so schön, Licht, Kronen, abendliche Düfte, das moderate Rennen – wie, wie um alles in der Welt können die meisten Leute darauf verzichten? Man fühlte sich doch so lebendig, so eins mit sich und der Welt… Ich schwebte auf einer Wolke aus Wohlgefallen und Glückseligkeit, bis ich gewahrte, daß es unmöglich war, die Wege einzuschätzen. Meine eigentlich eher verläßliche Orientierung funktionierte nicht, weil die Pfade eine bestimmte Richtung einschlugen, um dann mehrere hundert Meter weiter einen Kehrtbogen zu machen: ich wußte zwar, wo ungefährt sich das Hotel befinden mußte, nicht aber, welcher der sich schlängelnden Wege dorthin zurückführte. Mist! Diesen Strauch kannte ich, ich hatte sein gefälliges Laub bereits einmal bewundert. Zwanzig Minuten zuvor. Ich stierte schnaufend auf die Uhr. Vierzig Minuten noch bis zum gemeinsamen Gruppenmahl. Ich stellte mir die Verwunderung und dann die Aufregung der alten Leute vor, stünde ich nicht pünktlich parat. Die Mißstimmung der Reiseleitung. Hoffentlich keine Sorge! Wäre das peinlich… Allmählich wurde es auch zusehends dunkler, das nur mehr indirekte Sonnenlicht wurde stark von den dichten Wipfeln geschluckt. Mich ängstigte nicht, allein im unbekannten Wald zu stehen, mich drückte eher das ungut-nagende Gefühl, in irgendeiner Form unnötig Aufsehen zu erregen… Ich lief schneller, erwog diesen Weg, dann einen anderen, Tafeln mit Umgebungsplänen gab es nirgends, andere Flaneure, Radler, Reiter auch nicht mehr: toll. Ganz toll. Ich entschied mich für eine radikale Richtung, von der ich wußte, sie würde irgendwann auf eine asphaltierte Fahrstraße führen, die ich schließlich auch erreichte. Von dieser Straße war es mir noch eine halbe Ewigkeit bis zum Hotel… Ich flitzte an den Pause einlegenden, rauchenden Angestellten vorüber, die mich angrinsten, weil sie mich bereits beim Verlassen des Gebäudes gesehen und gegrüßt hatten, in allerdings weniger gestreßtem Zustand. Ich duschte, zog mich um, legte Make Up auf und erschien zwei Minuten nach Termin am Tisch. “Du bist aber spät dran heute!” lächelte mir meine freundliche Sitznachbarin entgegen. Sie war vollkommen entspannt und relaxt, berichtete von ihrem traumhaften Nickerchen und dem mondän-genüßlichen Aperol vor der Mahlzeit. Ich schmunzelte innerlich. ´s-Hertogenbosch, ich habe dich ein bißchen kennengelernt, ich möchte noch einmal zurück zu dir…

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