109 Ratsuchend
München, September 2019.
Als Kind gehörte das Malen mir selbstverständlich zum Leben dazu, Buntstifte, Filzmarker, Wachskreiden rauschten täglich über Schmierpapier, das im elterlichen Büro angefallen war; die Wasserfarben jedoch blieben etwas besonderes, mußte man dafür immerhin gewisse Vorbereitungen treffen, indem man den Tisch mit Zeitungen bedeckte und einen Kittel (d.h. ein altes Hemd aus Papas Schrank) überstreifte. Um dieses Außergewöhnliche weiter zu zelebrieren, frisierte ich mich als Vier-, Fünfjährige auf eine mir seltene Weise: ich band in herrlichster Pipi-Langstrumpf-Manier zwei hohe, seitliche Zöpfe. Erst so zurechtgeputzt wollte ich in Glas und Tuschkasten Wirbelstürme entfachen – eines dieser derart entstandenen Bilder hängt noch heute in der Küche.
Als Studentin griff ich jene Marotte in abgewandelter Form auf: ich steckte mir einen Knoten, schwärzte die Augen mit Schichten aus Lidschatten und Kajal, bepinselte den Mund grell kirschrot – niemals hätte ich in diesem Aufzug die Straße betreten, so übertrieben, billig, fast lächerlich, wie ich hergerichtet war – nicht für das Malen, das ich trotz einigen Talentes in der späten Jugendzeit aufgegeben hatte, sondern für mein Schreiben kurzer Erzählungen am Fujitsu-Siemens-Laptop Baujahr 2004. Die Blog-Einträge, sofern nicht handschriftlich notiert während einer Tour, werden nach wie vor darauf getippt – wenn ich es erzähle, werde ich verlacht oder gar mit verächtlichen Blicken gestraft, jedenfalls begegnet man mir mit Unverständnis; Tom Hanks sammelt Schreibmaschinen, nur so am Rande erwähnt, und arbeitet ausschließlich an ihnen, auch für private Korrespondenz, von wegen „E-Mail für dich“.
Ich denke, der Kern dessen, was ich ausdrücken möchte, ist die Ritualisierung mancher Gepflogenheiten, die zwar eine Regelmäßigkeit aufweisen, allerdings weit entfernt sind von simplen Gewohnheiten, was ihre persönliche Bedeutung betrifft; interessant, daß man einem solchen Bedürfnis bereits als Kind nachkommt, ohne daß man angeleitet wird dazu oder es vorgelebt kriegt.
Jetzt, als fast Mittdreißigerin, koche ich mir einen ordentlichen Kaffee, achte auf ein passendes Parfüm (nicht aus dem Drogeriemarkt oder der großen türkisenen Kette), verwende ich angemessene Schminke (satt doch zum Typ passend, aktuell Korallen- und helle Himbeertöne), ziehe schönen Schmuck an (mit dem es sich im Wald weniger tauglich joggen und im Garten schwerlich Beete umgraben ließe), wenn ich mich an das Verfassen von Texten am PC mache – oder auch wenn ich zum Rosenholzfederhalter greife. Es nennt sich Schreibkultur, und ich liebe es leidenschaftlich.
Nur manchmal werde ich wehmütig, wenn ich durch meine früheren Zeichnungen und Bilder krame und sehe, wie gelungen und stark sie sind für ein Kind, für eine Jugendliche, und ich mich frage, was gewesen wäre, hätte ich diesen kreativen Zweig aktiv weiterverfolgt. Dann nämlich grüble ich unwillkürlich als nächstes: fördere ich das Schreiben genügend, treibe ich es voran, forciere es? Werde ich es bedauern in ein, zwei, drei Dekaden später, wenn ich über die Texte stolpere, begraben im uralten Laptop, versteckt auf einer wenig frequentierten Blogseite? Bedauern, nicht selbstbewußt genug gewesen zu sein, nicht ausreichend zielgerichtet, tatkräftig, hartnäckig? Aber wann ist etwas gut? Bedarf man für diese Einschätzung nicht einer Rückschau, eines Abstandes von sich selbst?
Was würdest du raten, geschätzter Leser?