78, Teil II: Museumsrausch
Südamerika, Mai bis Juli 2009.
Als frisch gebackene Kunsthistorikerin und Ethnologin besichtigte ich viele Museen. Keramiken, Textilien, Mumien. Chimú, Nazca, Moche, Chancay, Páracas, so vieles wurde zusammengefaßt unter dem Begriff „präinka“ bzw. „präkolumbinisch“. Häufig handelte es sich um bedeutende archäologische Stätten, als Höhepunkte angepriesen und dem Zerfall überlassen. Verwehte und ausgewaschene Lehmpyramiden. Geplünderte Grabfelder, Tonscherben und überall verstreute Knochen, unbeachtet. Kolonialstücke, Perlmuttkabinette, Ölgemälde von Heiligen Michaels mit Flamingoflügeln. Altes Spielzeug der Indígenas; ein Puppenhaus, 50er Jahre, stilecht, europäisch; ein Jugendstilmusikautomat aus München, ausgerechnet. Aufgelassene Klöster, historische Ausstellungen über afrikanische Sklaven. Naturhistorische Sammlungen mit den Skeletten einst angeschwemmter, nun im Museumsgarten ausgestellter Wale; ausgestopfte einheimische (für mich jedoch exotische) Tiere, Kuriositäten wie ein eingelegtes Lamm mit sechs Beinen, aufgespießte Insekten. Schrumpfköpfe, echte (!), bei denen sich mir der Magen umdrehte… Kirchenprogramme, eine eigene Ausdrucksform katholischen Glaubens, die Figuren der zahlreichen Nischenaltäre und Kapellen sämtlich mit echten Gewändern und Perücken bekleidet, kostbar wirkende Stoffe in Gold und Silber, eingewebte Muster, aufgestickte Pailletten, dunkle Haarmähnen. Alt und Neu, wohin man auch blickte. Kunst und Kommerz, Glaube und Scharlatanerie.
„Dafür mußten die süßen Kerlchen sterben?“ Ich starrte auf eine Kollektion zerfledderter Vögel. Das Museum, das zur Universität von Trujillo gehörte, war kaum als solches zu bezeichnen, es gab genau zwei Räume. Im ersten hatte man Fische präpariert, wobei manche der Exemplare dennoch zu schimmeln begannen. Im zweiten stieß man auf etliche fixierte Vögel. Hunderte. Vielleicht sogar Tausende. Bunte und unscheinbare, Stelzenläufer, Greifen, Enten, Singvögel.
Ich war zunächst betroffen. Nichts gegen wissenschaftliche Aufbereitung und Präsentation, doch hätte man sich nicht mehr Mühe geben können?
Die Farben waren teilweise verblaßt. Oft fehlte an einzelnen Stellen das Gefieder, oder es hing lose herab. Manchmal hatte jemand versucht, es zu kleben und dabei nur dicke Spuren der Haftmasse hinterlassen. Häufig waren die Schnäbel und Füße aus künstlichem Material gestaltet, rasch bepinselt worden, in unnatürlichem Rot etwa. Die Augen waren zwei Kleckse schwarzer, verschmierter Farbe. Insgesamt wirkten die Präparate unbeholfen oder gar fahrig ausgeführt.
„Und dafür“ – ich sprach deutsch und betonte das ´dafür´ sehr stark, „mußten die ihr Leben lassen?“ Klar gab es schlimmeres. Brandrodung zum Beispiel. Raubbau. Wasserverschmutzung. Trotzdem…
Ich widmete mich den Kärtchen. Jedem Präparat war ein kleiner Karton beigelegt, beschrieben mit verblichener Tinte.
Ich entzifferte etwas, das die spanische Bedeutung von Kanarienvogel sein mußte (denn um einen solchen handelte es sich), dann noch mühsamer den Namen des Finders, überraschenderweise ein Holländer, und endlich das Datum der Präparation. 1763…