7 Held entdeckt

7 Held entdeckt

Azoren, Juni 2012.

Bis zu sechs Meter hohe Wellen zerschellten an den Steilhängen unter mir, salzige Feuchte allgegenwärtig in der Luft zerstäubend und einen beständigen Rhythmus an Raunen erzeugend wie ein Atmen des Ozeans. Am Rande des Gürtels aus Baumheide mit ihrem papierneren, vertrockneten Geäst und den stechend-leuchtenden, neongrünen Spitzen saß ich auf dem wundersam erwärmten Vulkangestein, den Wind im Haar und auf die tobende, schäumende weiße Gischt weit unter mir blickend. Der Boden war ein endloser Strom erstarrter und doch bewegter, zäher Läufe, Wirbel formend, breite schlangenhafte Bahnen ziehend, unterbrochen von scharfkantigem Geröll, in dem man immer wieder Olivin und Biotid fand, grünlich, bräunlich oder bläulich glänzende, mineralische Einsprengsel. Dickfleischige, grob gezackte Farne teilten sich die schwarze Ebene mit weißlich-grauen oder zuweilen auch orange-gelben Flechten. Manche Leute munkeln, die Inselgruppe der Azoren sei ein Rest des legendären, versunkenen Atlantis, und in der Tat schwebte über Pico eine leise, wie verlorene Stimmung. Überall wuchsen üppig rankende blaue Prachtwinden, zur eigentümlichen Atmosphäre beitragend mit ihrem ungeheuer saftigen Laub und den Wassertropfen besetzten Blüten, Silberperlen auf violetter Seide: Tränen.

Ganz ehrlich: nach den 22 Stunden Verspätung meiner Ankunft auf den Azoren, als der Reiseleiter uns wenige Nachzügler begrüßte – man witzelt allgemein, das Airlinekürzel TAP stehe für Take Another Plane -, im Neopren und noch vom Tauchgang naß, jung, männlich, sportlich, dachte ich mir: Welche Entschädigung für die Flug- und Anreisestrapaze, ´was Nettes fürs Auge… Das dachte ich, und er war ein Guide, der eben Biologie studiert und ein Faible fürs Meer hatte, attraktiv, eine Abwechslung vom Alltag für zwei Wochen, wohl eine Anekdote für meine Freundin aus Kindergartentagen, wie sie sie gerne hört. Das war er, der freundlich aber distanziert über Reiseablauf, Unterkunft, Ausrüstung aufklärte. Und er blieb das für einige Stunden, der schnuckelige Guide, bis die nette Gruppe im Kleinbus sitzend darauf wartete, daß er zu Ende getankt haben würde.

Er befand sich direkt vor meinem Fenster, wo ich den Kopf leicht drehte, um die Inschrift seiner Oberarmtätowierung entziffern zu können, die mir durch die schöne Type aufgefallen war, und weil ich Worte immer interessanter finde als Bilder, weil sie auf der Haut nochmals eine andere Dimension eröffnen. Seine Kollegin und Tourbegleiterin auf dem Beifahrersitz verriet mir schließlich den Wortlaut dieser gestochenen Phrase und daß er aus einem Liedtext stamme und dergleichen mehr, aber ich lauschte ihr nicht länger.

Es hatte einen Schlag gegeben. Eine Pauke war durch mich hindurchgefahren und hatte mich wach gerüttelt. Der Reiseleiter, der – ich weiß, Männer mögen das Adjektiv nicht – süße Kerl, die unterhaltsame Abwechslung vom Alltag, hatte sich verwandelt. Der da nun tankte, noch immer in derselben Position verharrend, war plötzlich ein gänzlich anderer Mensch.

Head Under Water. Now I can breathe.

Diese beiden Sätze haben mich für immer verändert, wurden mir der Stachel im Fleisch, den permanenten leisen Schmerz verursachend, der mich von da an antrieb, weil er beharrlich davon kündete, daß ich augenblicklich ein Leben lebte, das nicht zu mir paßte, das meine kreativen Potentiale nicht ausschöpfte. Und diese Sätze halfen, mir begreiflich zu machen, daß Widersprüche Sinn ergeben können und man nicht in allen Dingen stringent, konsequent, logisch handeln, denken, fühlen muß.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert