250 Notti senza cuore
München, Mai 2023.
Parking Position. Zuschauertribüne. Eintritt Lösende. Kundin. Zahlender Gast. Bewunderin, Fan, Anbetende. Plan B, Reserve. Unterhaltungsobjekt, Freizeitplaner, Lückenfüller, Launenbefriediger. Ja/Nein/Doch nicht/Wannanders/Später/Vielleicht/Spontan. Wartende. Ausharrende. Sich Sehnende, Freuende. Enttäuschte. Versagerin. Unnütze. Gescheiterte. Langweilerin. Faule. Arrogante, Spinnerte. Übersehene, Geringgeschätzte, Verspottete. Wer? – Ach so, die!
Das war einmal.
Gianna Nanini kratzt wie die Nadel einer Schallplatte in mein Ich, Notti senza cuore.
Das Licht war grün vom überquellenden jungen Buchenlaub, das der Hagelsturm nicht gänzlich hatte zerschlagen können. Dafür waren die ätherischen Öle gelöst, eine dickflüssige, würzige Wand hochziehend aus Waldmeister und Goldnessel, Erde, Feuchte, Natur. Ich bin schon schneller gelaufen und weiter auch, aber ich verbat mir die Schelte, in die milde Frische tauchend, atmend, denkend, was sonst, Denken, immerzu, und Fühlen. Am Hauptkanal des vor einer Dekade instand gesetzten Moores verharrte ich, Puls und Schweiß nachspürend, der Wärme im Körper. Eine Armee an Fröschen quakte ein sonores Konzert; ein Chor, der einzelne Soli begleitete, ein mehrstimmiges, ewig anmutendes Lied. Frosch war ich nicht, Mensch nicht. Gefangen im Zwischenreich, jenes verhaßt – geliebt, ich nirgends zugehörig und doch unbestreitbar seiend. Ich lauschte der Hundertschaft Amphibien, die mich nicht bemerkt hatte, während der Himmel wieder – wie soft in diesem Jahr – gärte und brodelte, untermalt vom Sonnenschein, auch hier der Zwiespalt, die Negierung eines Prinzipes von Entweder/Oder. Ich empfand Dankbarkeit und Glück im Genuß des opulenten, eindringlichen Quakens; gleichwohl wehmütgen Schmerz. Aus der Welt gefallen war ich, nicht hier, nicht dort, nicht gut, nicht schlecht, und auf ganz heftige Weise beides zugleich: gut wie schlecht. Ich fragte mich, ob das je irgendjemand würde verstehen können. Vielleicht nicht mit dem Kopf, der Vernunft, aber mit dem Herzen; ein Begreifen über Erklärungen, über dürftige menschliche Worte hinaus, ein Auflösen in der Zärtlichkeit einer Geste, in der Intimität einer Berührung.
Die Parking Position ist verlassen, die Zuschauertribüne. Man findet mich von nun an auf der dritten Spur links, und wenn es derer vier gibt, auf eben dieser. Im Rausch der Geschwindigkeit, des neuen Who cares. Eigenhändig aus dem Sumpf gezogen; zu oft erniedrigt, mich selbst erniedrigt, viel zu häufig gebettelt, gewinselt, gehechelt. Klein gemacht, Füße geküßt ehrfürchtig, mich mit winzigsten Brocken Aufmerksamkeit zufrieden gebend. Spielstein der Launen und des Opportunismus, Zug um Zug, wie man es gebrauchen konnte. Nicht länger! Ich emanziere mich mit dem Heben des Mittelfingers, mit einem aggressiv-arroganten Nein, in das sich Amüsement mischt.
Ich lächelte, während mir vereinzelt Tränenspuren die Wangen hinabliefen, eingebettet in Wolkendrohung, Maiengrün, vorgewittrige Sonne, Froschlaute: zu Hause, für ein paar Sekunden daheim, am korrekten Platz. Akzeptiert, angenommen, richtig.
Die Parking Position hat mir nicht gestanden, pas du tout. Der Fahrtwind neuerdings wirbelt Staub auf hinter mir – mal kucken, was übrig bleibt, wenn er sich gelegt haben wird.