248, Teil V: Dachschaden
Cumbria/ England, April 2023.
Ich war gerade erst eingeschlafen gewesen, als ein Geräusch mich weckte. Noch nicht ganz bei Sinnen, hielt ich mir einfach die Ohren zu, grummelnd über die Störung, ohne ihr nachzugehen. Es ähnelte einem konstanten Klacken. Die schrille Sirene des Feueralarms unmittelbar darauf ließ mich aufseufzen; zu erschrecken vermochte sie mich nicht, eher akzeptierte ich, daß ich wohl das Licht einschalten müßte. Vier Sekunden später schon endete das penetrante Kreischen, nur das Klacken war weiterhin zu vernehmen. Ich tastete trotzdem nach dem Schalter der Lampe auf dem Beistelltisch, mich aufsetzend.
Der Anblick war zu bizarr. Direkt am Fußende präsentierte sich mir ein Vorhang aus Wasser, das von der Decke niederfiel, als stünde man unter der Dusche, direkt durch den Feuermelder hindurch, der sich offensichtlich mit einem Kurzschluß verabschiedet hatte, ohne die übrige Elektrik im Zimmer zu betreffen. Der Situation mich ergebend warf ich mir die Jacke über, schnappte den Schlüssel und tapste die drei verwinkelten, knarrzenden Treppen hinunter zur Rezeption, die lediglich mit einem “Bitte läuten”-Schild samt Summer aufwartete. Der herbeigerufene, allmählich eintrudelnde Portier war nicht sonderlich begeistert, mich zu sehen, und offensichtlich glaubte er meinen mit deutschem Akzent versehenen Worten nicht, bis er selbst mit in den Nacken gelegtem Kopf knapp unter dem Leck stand, das noch immer kräftig Wasser verspritzte. Klack. Klack klack klack. Klack klack.
Ich solle bitte meine Sachen packen. Hä? Es war zwanzig vor eins morgens. Mein Zeug lag komplett verstreut umher, zwar nach einem inhärenten Ordnungsprinzip sortiert, aber viele Kleidungsstücke noch triefend von der unwirtlichen Witterung, Schlamm verschmiert von den Mooren, zum Trocknen an und über den laufenden Heizkörpern lehnend. Ich beziehe ein anderes Zimmer. Es handelte sich um ein in die Jahre gekommenes, zu Coronazeiten nicht restauriertes Hotel (viele Unterkünfte weltweit waren ja imzuge des Leerstandes hergerichtet worden), das sich selbst mit dem Slogan “Dog friendly” bewarb, sodaß es hinter diversen Türen des Flures grollte, knurrte, bellte, keifte, winselte, als ich meinen erzwungenen Umzug startete. Ich erhielt die komplett abgelegene, im Nebenflügel untergebrachte Ruskin Suite.
Die Luft darin stand, es herrschten bestimmt 27 Grad oder mehr, ich riß sofort die Fenster auf kipp, was null brachte. Es gab ein Doppelbett, ein Einzelbett und eine Pritsche, und selbst im mauen, gelblichen Schein der Funzel sah ich schon von weitem, daß sämtliche komplett mit Bettwanzenkot verseucht waren. Bei näherer Inspektion ließen sich noch Kopf-, Hunde- und Schamhaare ausmachen sowie Flecken besser undefinierbarer Art. Es war mittlerweile halb zwei geworden. Ich rieb mir gequält über die Augen. Handtücher, auch großen Formates, sauber gewaschen, waren zum Glück genügend vorhanden. Also: Laken, Überwurf, Kissen weg, alles mit Handtüchern verhüllen, Frisur knoten, nackt ausziehen (beides, um möglichst wenig Unterschlupf zu bieten für die blutsaugenden, lästigen Viecher), mit einem weiteren Handtuch zudecken und sich zwingen, einzuschlafen (was etwa zwei weitere Stunden veranschlagte), und mit dem inbrünstig herbeigesehnten Weckerklingeln binnen Sekunden aufspringen, um aus der Siffe zu flüchten. Schön, daß nach dieser unruhigen drei-Stunden-Nacht der anstrengendste Tag der Tour zu meistern sein würde, die erwähnten 33 Kilometer…
Ich revidiere also (vgl. Beitrag 246) und betone: nicht jedes Geräusch von Wasser löst Entzücken aus in mir… Übrigens würde die Unterkunft dann hygienisch noch getoppt werden vom Bahnhofshotel in Carlisle, eine Absteige für bemitleidenswerte Damen erniedrigendster Profession und deren Kundschaft (großer Dank an die spanische Agentur, die uns eingebucht hat). Bettwanzen habe ich keine nach Hause eingeschleppt, worauf ich fast ein wenig stolz bin: auch Prinzessinnen werden mit der Zeit tatsächlich abgeklärt.