239 Würdigung

239 Würdigung

München, März 2023.

 

Glanz des Mondes

aus dem Wasserbecken geschöpft

zerspritzt, verschüttet

(Nonoguchi Ryuho, 17. Jahrhundert)

 

Vielleicht mag ich Haiku, weil sie verdichten und fragmentieren, in Rätsel packen und doch universell Wahrheiten auf den Punkt bringen. Ich mag sie, weil sie meiner angeborenen Art, zu erleben, sehr nahe kommen. Sie werden begriffen oder nicht, ein Dazwischen existiert kaum. So betrachtet, ist mir beinahe alles ein Haiku.

Die Dohlenrufe am Morgen, in die sich das Gurren eines Wildtaubenpärchens mischt; das Schmatzen, Trillern, Giggeln, Lachen, Flöten, Posaunen der Stare, die in Massen einfallen in den Garten. Die permanent streitenden, lärmenden Spatzen, die nur der Sperber ruhig stellen kann in regelmäßigen Abständen; das Stakkatopochen des Spechtes. Meisengezirpe, Revierrufe der Amseln, Buchfinkenkonzerte: aus der Kindheit herüberwehende Klänge, schön und melancholisch und besänftigend in ihrem verläßlichen Rhythmus.

Ein Schaufensterbummel durch puren Luxus; ich liebe es, mir die Dekorationen zu besehen, nicht nur die Produkte, sondern insgesamt die Gestaltung der Läden. Bei Dior ganze Felder aus getrockneten und kunstfasernen Blumen und geflochtenen Strohimitationen; bei Vuitton große silberfarbene, spiegelnde Dreiviertelkugeln; in einem Kofferladen 3D-gedruckte Landschaftsreliefs in Petrol- und Türkistönen; Hermes mit riesigen, pastelligen Spielplatzgerätenachbauten (warum auch immer); Hemmerle (ein Münchner Top-Juwelier, eher Kunst als Schmuck) antike, rohe asiatische Gefäße und Vasen; bei Fortuny natürlich der Seidencrepe, und so weiter. Das Kaufhaus Beck ist dabei Münchens bescheidenere Version eines KaDeWe, gläsern-edel, voll lockender Düfte, exquisiter Kosmetika, Wässerchen, Seifen, was die Nase so eben erfreut und den Geldbeutel schmerzt, stets liebevoll, d.h. absatzfördernd, angerichtet, eine Adresse für die sorgenfreie Muße, das Personal  freundlich und höflich, Leute, die ihre Arbeit offensichtlich gerne erledigen und denen der Kunde tatsächlich noch König ist. In einem schmalen Durchgangsbogen neben einem Eckschaufenster exakt jenes Kaufhauses Beck stand unscheinbar und leise ein Arrangement, bescheiden, poetisch, anrührend, einen durchfahrend und unwillkürlich die Emotionen aufwirbelnd. Ein kleiner, hübscher Strauß aus lila Strandflieder und herrlichen dottergelben Rosen, ein rotes Grablicht und ein einfaches Papierschild, auf dem in schwarzer Schönschrift einem der BISS-Verkäufer gedacht wurde mit Namen, einer jener Obdachlosen, die sich mit dem Verkauf der vom ermordeten Modeexzentriker Rudolph Mooshamer gegründeten Straßenzeitschrift zurück ins Leben zu kämpfen versuchen, und am meisten ergriff mich: man nannte ihn „unseren lieben Nachbarn“. Denn dies ist der Unterschied zwischen München und vielen anderen reichen Städten, daß zwischen Schischi und Kir Royal, zwischen Porsche und Nerz oft auch Platz ist für diejenigen ganz am anderen Ende der Sozialhierarchie. Ich konnte mich kaum lösen von diesem improvisierten Altar, aus dem so viel Gefühl und Respekt und Wertschätzung sprachen für einen Menschen bar jedes Status´ und Prestiges, der vermißt wurde, weil er derjenige war, der er gewesen war ohne Wenn und Aber. Und ich bedankte mich stumm bei denen, die ihm diese letzte Ehre erwiesen hatten und ihm Würde zuerkannten, wo sonst nur die Achtlosigkeit herrscht.

Ein Team aus Gärtnern war gerade damit beschäftigt, die Parkanlage nahe des Odeonsplatzes neu zu bepflanzen. Tausende weißer und violetter Stiefmütterchen säumten die schnurgeraden Wege, die zur romantischen Muschelgrotte führen, wo gerne Musiker am Klavier oder auf der Geige die Flaneure zum Tanzen auffordern, die Blumen teils bereits gesetzt, teils noch in Töpfchen harrend. In einem anderen Sein, da wäre ich Landschaftsarchitektin geworden. Oder Interior Designerin. Pianistin. Porzellanmeisterin. Gutsbesitzerin. Schriftstellerin. Gefährtin. Keine Ahnung, was ich geworden wäre, irgendetwas jedenfalls! – Aber ich liebe es, in der Erde zu wühlen, ich horte Pflanzen, stopfe sie in jedes freie Plätzchen der Beete und Grasflächen und Kübel und Steinbrunnen, ordere Sträucher, Bäumchen, Stauden, Zwiebeln, säe Gemüse, sammle Rosen; was im Winter die Bücher, sind die anderen drei Saisons die Pflanzen: ich kann nicht vorbeigehen, ohne eine oder zwei oder dutzende mitzunehmen aus dem Laden hinein in mein zu Hause. Blumen, den einen banal, den anderen essentiell und sinnstiftend. – Ich schritt auf eine Gärtnerin zu, die ein wenig abseits arbeitete, (ich spreche generell lieber Frauen an als Männer, um keine falschen Gedanken aufkommen zu lassen, was aber nicht immer funktioniert, da auch diese zuweilen auf falsche Gedanken kommen können), sie grüßend, anstrahlend. „Am liebsten würde ich gleich mitmachen!“ beteuerte ich. Sie musterte mich. Ich kenne diese Weise des Studierens. Wenn man auf Freizeit- und Abenteuer-Messen einen Katalog erbittet, der anspruchsvolle Trekkingtouren anbietet und man trägt Pumps und Lippenstift, dann kassiert man genau den gleichen Scan. Einmal ging es so weit, daß der Standbetreiber mir den Katalog verweigerte! Da habe ich den Himalaya halt mit einem anderen Veranstalter erwandert – ohne Pumps aber mit Lippenstift. Jedenfalls runzelte sie die Stirn, kuckte auf meine Schuhe, kroch den roten 60ties Style Wollmantel mit der weißen Stoffblütenbrosche am Revers hoch und blieb an Make Up und aufgesteckten Haaren hängen. „Da kriegen Sie aber schmutzige Nägel.“ sagte sie. Oh. Ach so? – Früher wäre ich explodiert, aber das einzige, was herausbrach aus mir, war ein erheitertes Lachen. Ich hatte tags zuvor das Grab frühjahrsfrisch hergerichtet, Moos aus den Rabatten gezupft und eine Lieferung von drei Sträuchern und zwei Zierobstgehölzen entgegengenommen, die sämtlich die folgende Woche in die Erde gebracht werden würden – von mir, versteht sich. Sie runzelte die Stirn. „Ich freue mich sehr, daß die Stadt immer wieder diese bunten Farben und malerischen Blumenzusammenstellungen in die Parks und auf die Straßen zaubert, das genieße ich jedes Mal total.“ erklärte ich mich ihr aufrichtig. Und ihre skeptische, müde Miene erhellte sich darüber, daß sie gesehen worden war und geachtet.

Haiku. Ich meine, sie lehren uns, etwas wirklich wahrzunehmen und in und mit wenigen Worten oder Gesten zu ehren. Ehre und Würde sind Begrifflichkeiten, die dem westlichen Alltag und Kanon entschwunden sind und höchstens mit Beigeschmack auf dem Teller landen. Dabei ist beides zutiefst menschlich – und kostet nichts.

 

 

 

 

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