228 In between

228 In between

München, Februar 2023.

Milchseidener Schimmer, cremige Noblesse. Wie umschreibt man Anmut? Gewiß ist ihr Sanftes eigen und Weisheit. Ist sie mehr melancholisch denn voll der Fröhlichkeit. Enthoben. Schwebend. Gelöst. So stelle ich es mir vor. Meine Wut, heißer Orkan, macht mich ordinär, zutiefst entwürdigend, aber ich kann mich dann einfach nicht stoppen, die Abscheu vor den, der Ekel über die Gegebenheiten erniedrigt mich letztendlich selbst. Ich frage mich dann oft, quasi als Hiatus: Willst du das? Nein. Aber was will man schon? Wer will diese Nachrichten und Meldungen?

Als Kind hatte mich eine Szene aus „Die Reise ins Labyrinth“ (1986, fast mein Jahrgang) mit David Bowie in einer tragenden Rolle verstört; wie meist in Märchen und Moralstücken üblich geht es um eine Suche, um ein wichtiges Ziel, von dem gemeine Mächte einen abzulenken trachten. Das bezaubernde Mädchen wird vergessen gemacht, daß es in eine Parallelwelt gereist war, um den entführten kleinen Bruder zu retten. Sarah hat es sich wunderhübsch eingerichtet in einem traumhaft luxuriösen Zimmer, dem es an nichts mangelt: Rüschengardinen, herrliche Stoffe, aparte Möbel, begehrenswerte Spielsachen, ein Raum, in dem gar nicht auffällt, daß man ihn allein bewohnt, abgesehen von einer widerlichen Vettel, einer Kramersfrau, die gelegentlich vorbeikommt, noch mehr Gegenstände bringend, darunter Lippenstift: etwas zum schön Malen, schön Färben. Ein angenehmes Leben, gemütlich, behaglich – bis Sarah gewahr wird, daß dieses zu Hause sich im Herzen einer grausigen Müllkippe befindet und all ihr wertvoll erachtetes Gut nichts weiter als aufgesammelter Abfall ist. Mein Gott, was habe ich in meinem Leben später an dieses Gleichnis denken müssen! Man mag friedlich den Alltag abspulen, sich sein Nest bauen, sich mit Wohligem umgeben, an seiner Biographie spinnen, weben – bis man auf ein Garnknäuel stößt, bis man sich stößt, so sehr, daß man es nicht länger verdrängen kann; man hat es sich zurecht gemacht auf einer Halde. Und dann?

Und dann folgt wieder die Wut, diese schreckliche Wut voller Hitze, die Schaden anrichtet, sich zur Feuerwalze auswächst. Das ist es, woran sich die Leute erinnern. Nicht daran, was das Inferno ausgelöst haben mag, nein, bloß die Schneise der Zerstörung wird behalten im Kopf, vielleicht zu recht.

Im Aschestaub liegen bleibt die Frage nach der Identität. Ist man böse, durch und durch destruktiv? – Alle 4,4 Sekunden stirbt ein Mensch unter 24 Jahren auf der Welt. – Ascheflöckchen wirbeln durcheinander.

Ich kann mich nicht mehr erinnern, schon lange nicht mehr, seit Monaten, oder eher Jahren, was ich fotografieren wollte. Weshalb zur Kamera greifen und auf welche Art ein Bild gestalten, eine Sache erzählen. Manchmal weiß ich gar nicht mehr so genau, was ein Foto überhaupt ist; und wieso es von mir gemacht werden sollte, anstatt von irgendeinem der anderen Milliarden (abzüglich all derer, die sich ein Gerät zum Ablichten nicht leisten können, weil es nicht eßbar oder trinkbar ist).

Verhalten blinkt es auf. Milchseiden schimmernd. Cremig, nobel. Sanft und weise, mehr melancholisch als fröhlich, enthoben, schwebend, gelöst, genau so, wie ich sie mir vorstelle. Irgendwo, irgendwie einem in den Sinn tretend: Anmut. Ich nehme an, vermute es, Anmut sei das Ziel meiner Suche, zumindest eine Annäherung daran, die sich in diesem einen Moment befindende Anmut. Moment, der zwischen der Stille liegt.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert