171 Nichtsein

171 Nichtsein

München, Mai 2021.

Ich fürchte, ich habe doch wieder gestalkt, ohne es solcherart bezeichnen zu würden – das sagen sie wohl alle…

Ich stand im Buchladen, ziel – wie absichtslos, die Finger korallenfarben lackiert, das frisch Henna getönte Haar zum Knoten gesteckt, die puderrosé Slingbackpumps klackten gedämpft auf dem Bodenbelag, ich spielte gedankenverloren an Omas altem, ziemlich wertlosen Amethystanhänger um meinem Hals und sah das Coverbild: schon war der Kauf geschehen, stand ich bereits wieder auf der Straße. Nun werde ich es auch lesen, man kann es mir wohl nicht verübeln. Er hatte gesagt – so lange her, vager die Erinnerung als ein nächtlicher Traum -, er werde sein Buch schreiben, kaum im Blog erwähnt (vgl. Beitrag 157), entdecke ich das Versprechen (freilich kein an mich gerichtetes, als viel mehr sich selbst gegenüber gegeben) eingelöst. Es hat mich betroffen gemacht, tatsächlich. Betroffen? Getroffen?

Es war ohnehin ein bittersüßer Tag gewesen bis dahin, ein Ausflug in die ehemalige Wahlheimat, eine Exkursion in ein Stück Normalität. Beschirmt von maigrünen Linden saß ich im Münchner Hofgarten an einem Cafétisch, auf welchem in anmutig dünnem Glaskelch der Prosecco zart bernsteinern perlte, Miniaturgrüße in den Himmel schickend – da und dort und hier, Aufsteigen, Verpuffen, Adieu, Moment, verweile, du bist so schön… Als Jugendliche hatte es mich einst zu einer Kurzgeschichte inspiriert, das Sektperlengrab, nicht auf den Tod anspielend, sondern auf die Transformation von Zuständen.

Mein Gott, was schwafele ich denn da schon wieder vor mich hin…

Als ich jedenfalls in kleinen Schlucken den Schaumwein trank, die Kastanienallee vor der Residenzfassade studierend, die sich in eine magentarot wogende Wand verwandelt hatte und beinahe verglühte vor Blütenkasaden, drang die Musik eines Streicherquartetts an meine Ohren, das klassische Weisen im Wechsel mit Popmusik (ABBA) zum besten gab, rhythmisch unterbrochen vom Klatschen der Passanten. Da stiegen mir die Tränen in die Augen, küßte die Melancholie mich, zärtlich und bestimmt, völlig überraschend. Eine elegante Dame hohen Alters nahm in Begleitung der erwachsenen Enkeltochter Platz nebenan, beide in Kaschmirmäntel gehüllt, mir freundlich zunickend. Leute jeder Coleur, jeden Hintergrundes zogen vorüber, ich ging auf im Schauen und Schwelgen. Die Kellner erkundigten sich regelmäßig, ob alles stimme und genehm sein, der Hinweis, es werde allmählich Zeit, aufzubrechen.

Wer war diese Frau? Wer ist man? Tja, wer oder was man nicht ist, erkennt man viel leichter, das Cover stößt mich mitten hinein in den Zweifel, das Ungenügen, die Sehnsucht. Dann muß ich lächeln. Du hast es getan. Hast dein Buch geschrieben, neun Jahre nach der Erwähnung erschienen. Jetzt weine ich tatsächlich noch. Bittersüß, der Tag, das Leben.

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