166 Waldgeschichten

166 Waldgeschichten

München, März 2021.

Im Flur auf dem hellblauen Schuhkommödchen stehen gefüllte, cremefarbene Narzissen, deren Köpfe Schlagsahneklecksen ähneln, lauter kleine Spritzgebäckteilchen, appetitliche Frühlingskringel. Daneben prangen bonbonrote Tulpenkronen, eine aparte Sorte.

Kürzlich spazierte ich mit Montana über die Felder und durch ein mir unbekanntes Waldstück. Der Himmel spannte sich zum Zerbersten in bedrohlichem Anthrazit über die giftgrüne, keimende Saat, die die hügeligen Äcker überzog. Ich fürchtete ein Unwetter mit Blitz- und Donnerschlag, noch beschien uns eine nuschelnde Sonne, doch das Firmament schwoll beständig an, finsterste Tintenschwärze annehmend. Im Forst dann spürten wir ersten Schneeraupel, wurden tröstend von den Bäumen beschirmt. Es war kalt; nicht spitz und grausam, sondern erfrischend-klar. Ein Teppich aus endlosem Farnmoos, grell absinthen, aus altem Laub und Zweigwerk dämpfte unsere Schritte. Als wir wieder auftauchten aus dem Fichten-Buchen-Hain, da war das Unglück verheißende Düster verschwunden und die ganze Welt in knisternd-zischendes Weiß gehüllt, man sah kaum ein paar Meter weit, so stark verwehte es den rieselnden, stürmenden Schnee: Boden, Luft, Wolken verschmolzen zu einem frostigen Marshmallow. In dieses milchfarbene Kontrastbild hinein sauste ein Hase, die Läufe zu einer Kugel gepreßt, in größter Raserei machte er sich davon über die Flur hinein ins Schneechaos, aus welchem die Ohrenspitzen hinausleuchteten wie Flaggenwimpel. Ich fühlte mich auf Reisen versetzt, stellte mir vor, an einer Trekkingtour durch Norwegen teilzunehmen. Ich war ganz wach und ganz entzückt.

Mit einem stattlichen Traktorhänger holen sich amtierender sowie ehemaliger Bürgermeister (miteinander verwandt) wohl die dreißigste Fuhre Brennholz – mein Waldparadies ein Opfer gschaftelhuberischer Raffgier. Tja, und dennoch: unverhofft wohnte ich letzte Woche einem Naturschauspiel bei, als ich morgens durch den zum absoluten Krüppel gerodeten Wald schlenderte, während Schneemehl unablässig vom tristen Himmel stöberte. Ich staunte nicht schlecht, als es vor mir in Scharen aufwehte, eine Woge flatterndernder Synchronisation, ein Zusammenspiel aus Rostrot, Schwarz und Weiß. Szenen, die ich ledglich aus Afrikafilmen kannte, beobachtete ich gebannt. Wellen aus Vogelkörpern brandeten vor mir her, hunderte, vielleicht an die tausend gar, Bergfinken waren es, die den Boden bevölkerten, die kahlen Sträucher und mickrigen Baumreste! Die Männchen trugen ihr feuriges Prachtkleid, es mutete an wie in einem Märchen (Hitchcock möchte ich nicht bemühen, da es sich nicht um eine Atmosphäre des Bedrohlichen handelte, sondern des leisen Wundersamen). Gedämpft zwitscherte es, viel zu bescheiden für diese Menge an Tieren, die gelassen zwischen den Zweigen hockten oder auf dem Schnee behauchten Grund. Wenn ich weiterschritt, behutsam freilich, so wogte eine Brise vor mir her, die mich an flügelnde Schmetterlingsschwärme erinnerte, eine elegante, zarte Massenchoreographie aufführend. Mit Bergfinken tanzte ich!

Und noch eine Fuhre Brennholz wird gekrampfelt. Arme Wesen, die ihr nur Profit und Vorteil kennt – ihr könnt verreisen, wohin ihr wollt, die Welt bleibt euch verschlossen; ihr werdet sterben, ohne sie je gesehen zu haben. Glaubt ihr immer noch, mit eurem Brennholz ein gutes Geschäft gemacht zu haben? Aber Holz ist ja so fantastisch nachhaltig.

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