155, Teil V: q.e.d.
Azoren, Juni 2012.
Die richtige Rolle erwischte Wolfi. Zunächst hatte er mir ein wenig den Hof gemacht, ein klitzekleines bißchen nur, wie es ein weit durch die Weltgeschichte getingelter, im Flirten bewanderter, charmanter Wiener eben vermag, doch erfaßte er sehr geschwind meine Himmelei für den Guide und verlagerte sein Umgarnen auf eine andere. Luise war eine ungemein hübsche, aufgeschlossene, bodenständige junge Frau, die mich sogar unter Sternenhimmel zu sich an den Tisch bat, obwohl dort bei einem Glas Rotwein bereits Wolfi Platz genommen hatte. Luise reiste mit ihrem Vater, und als die Empfindungen weiter gediehen, sah man ein ulkiges Trio über die Promenade streifen, Luise und Wolfi Hand in Hand, stets daneben Luises Papa, ein älterer, untersetzter Herr. Ich gebe es zu, auch ich schmunzelte über die Szenerie, niemals würde ich die Gegenwart meines Vaters bei einer taufrischen Romanze erlauben.
“Ah!” rief immer einer aus unser Gruppe, “da laufen Wolfi, seine Verlobte und der Schwiegerpapa!”, Gelächter provozierend.
Etwa ein Jahr später kontaktierte ich Wolfi in einer mittlerweile vergessenen Sache per Mail, er antwortete umgehend, hinzufügend, daß er gerade auf Mauritius verweile, er verbringe dort seine Flitterwochen mit Luise…
Shakespeare, verkehrte Rolle, Rücksspulen, bitte. Kann man wirklich auf einer geführten zweiwöchigen, verregneten Inseltour seine Ehefrau kennenlernen?? Quod erat demonstrandum.
Zwei auf einer Fischauktion ersteigerte, gemeinsam zubereitete Rochen; die Besteigung des nebelverhangenen, feuchtkalten Pico, die Führung durch das verzweigte Höhlensystem mit seinen winzigen rostroten Stalagtiten, Besuche von Walfangmuseen, Volksfesten, Nachbarhäfen. Schnorcheln bei Mondenschein. Ein Rosenkranz aus roten Plastikkugeln am Eingang des Botanischen Gartens. Die emotionalen Verwicklungen von fünf oder sechs weiteren Tourteilnehmern, ein einziges Endorphin-, Oxytocin-, Adrenalin-Karussell. Komplimente, Gespräche, die meeresbiologischen Lectures (es war ja ein Workshop-Konzept), die vergeblichen Dinghi-Ausfahrten ohne Wal- oder Delphinsichtung, die Suche nach versteckt bleibenden Fledermäusen. Kneipenbier unter freiem Himmel, Abschiedszigaretten und Zettelbotschaften des Adieu.
Nie wieder würden wir uns treffen, nicht einem sollte ich je wieder begegnen.