76 Unfreiwilliges Solo
München, April 2019.
Ich ließ das Badewasser einlaufen, zu heiß, das alte Plastikthermometer meiner Oma zeigte bereits 40 Grad Celsius an, während ich in den Händen den Zusatz hielt, ein Seifenstück in Herzform, das sich leicht sprudelnd auflöste und dabei eine ölige, nach Rosen duftende Substanz freigab. Ich hörte das Plätschern und fühlte das mich umschmeichelnde Naß, während ich liegend auf die Decke blickte, türkisen, wie ein luftiger Jadehimmel, und die Mosaiken an den Wänden silbern-bläulich bis violett wie Perlmutt glänzten. Die Bodenfliesen, italienische Keramik, sind in changierenden Blautönen gehalten mit weißlichen Strukturen; für mich ist es der Ozean an einem warmen Sonnentage, auf dem windgetriebene Gischt schäumt und zuweilen auch eine aufgelöste Meerjungfrau. Mein Sternzeichen ist Fisch. Ich horchte in die Stille hinter dem einlaufenden Badewasser und hatte keine Ahnung, wie es weitergehen würde, welche Richtung mein Leben nehmen. Ich geriet in einen fast meditativen Zustand, als stünde ich ehrfürchtig-traumwandlerisch unter einem gotischen Schlinggewölbe – von dem Bild dieser Erinnerung flanierte ich im Geist zurück zu meiner ersten großen Reise, die ich allein unternommen hatte. Nicht ganz freiwillig, zugegeben…
Die Route im Mai 2009 bis Juli 2009 verlief folgendermaßen: La Paz – Copacabana – Puno (Bolivien) – Cuzco – Machu Picchu – Aguas Calientes – Nazca – Lima – Huaráz – Chiclayo – Trujillo (Peru) – Loja – Cuenca – Guyaquil – Galápagos (Ecuador). Sie wäre länger gewesen, hätte es nicht dieses Ereignis gegeben, das alles verändern mußte.
Es war meine erste Tour ohne die Eltern, abgesehen von Städtebesichtigungen in Deutschland und Europa, dabei war ich bereits vierundzwanzig Jahre alt gewesen. Wir flogen am 18. Mai von München ab, wir: meine Schweizer Begleitung Timo – eine online-Bekanntschaft – und ich. Ab dem Morgen des vierten Tages gingen wir völlig getrennte Wege, weil wir uns zu oft uneins waren über unsere Vorhaben vor Ort, sodaß ich mich unerwartet wie ungeplant zu meinem Schrecken absolut alleine in Südamerika wiederfand. Es war das beste, was mir hatte passieren können: ich wurde erwachsen während dieser neun Wochen des auf sich selbst gestellt Seins. Ein Kulturschock – d.h. eher Plural: viele kleine – blieb freilich nicht aus.