68, Teil I: Erleben kommt vor dem Abbilden
München, Dezember 2017.
Ich habe noch nie so viel über meine bisherigen Reisen nachgedacht, wie seit jenem Moment, als ich im Internet die Aufnahmen des bedrohlich brodelnden, balinesischen Vulkan anklickte, während mich das Cover Kazuo Ishiguros Roman „Was vom Tage übrig blieb“ auf dem Schreibtisch liegend verhöhnte. Vielleicht hat er dafür den Nobelpreis erhalten, daß er auf unpretentiöse, fast gleichtönige Art, harmlos daherkommend, einem den Dolch in der Wunde herumzudrehen vermag, den ein anderer dort hineingestoßen hat: die Gesellschaft, deren Maßstäbe und Erwartungen, Forderungen. Ich sortierte meine Fotos, Tausende, achtete auf ihre Wirkung, erstellte eine Auswahl, glich deren Impressionen mit meinen Erinnerungen ab. Einige der Bilder mochte ich, fand ich gelungen, aber ich merkte, daß viele Anekdoten, Puzzlesteinchen, bewegende, prägende, amüsante Erlebnisse nicht festgehalten waren in ihnen. An erster Stelle steht mir nämlich das Erlebnis, die Begegnung, Emotion, Interaktion, der Gedanke, meine umfassende Wahrnehmung. Erst ein zweiter Impuls läßt mich zur Kamera greifen – ich möchte dann etwas „dokumentieren“, das mir wirklich real und bewußt geworden ist, anstatt etwas zu illustrieren, das im eigentlichen an mir vorübergeweht ist, weil ich zu sehr mit dem Akt des Fotografierens beschäftigt gewesen war.
Ich schwelgte also in Reiseerinnerungen, oft darüber staunend, in welch rasantem Wandel die Welt sich befand, wie geschwind jahrzehntelang unbeachtete Länder plötzlich zu Top-Destinationen aufsteigen und damit einen Teil ihrer Identität zwangsläufig zurücklassen müssen.
Oman, Februar 2011.
Bürokratie, Bezahlung und Erhalt des Visums, Geldwechsel. Erste Omani in weißen Dishdashs, kleine Kartone in die Höhe reckend mit den Namen der Abzuholenden. Endlich entdeckte ich das Schild meiner Reiseagentur. Ich nahm den Mann kaum wahr, Europäer, Mitte Vierzig. Laura, sagte ich, Laura Burggraf, als er nicht weiter reagierte, sondern lediglich verwirrt meine Rechte immer wieder schüttelte.
“Ach so.” meinte er endlich und hakte meinen Namen ab auf der Liste. “Herzlich Willkommen im Oman!” Er sprach breitesten Tiroler Dialekt.
Glühende Kohlen spürte ich auf mir ruhen: im Hintergrund etliche Meter entfernt standen zwei jüngere Einheimische, der eine mich anstierend, der andere unbeteiligt die eigenen Schuhe musternd. Younis und Mahmood, die beiden Fahrer und Köche während des Trekkings.
Noch war ich nicht angekommen, nur mein Körper.
Ich hörte das Wadi-Bächlein rauschen, sah die roten Felswände, die sich zu unseren Seiten öffneten und verschränkten, riesigen Termitenhügeln ähnelnd, manchmal auch gigantischen Gerüsten verlassener Korallenriffe. Der Wind zauste mir Haar und Shirt, die Sonne durchdrang die Atmosphäre. Wir wanderten an Gestein vorbei, das war lila; auberginenfarben. Ebenso fanden sich Grau, Dunkelanthrazit, Honiggelb. Einige Brocken waren durchzogen von weißen Spuren, ab und an das Rund einer fossilen Schnecke nachzeichnend.
Ich war im Oman. Ich wußte nicht, war ich es denn?
Plötzlich lagen wir im Schatten, die Wände verschluckten uns alle. Fasziniert ob dieser perfekten Dramaturgie, die gemacht war für die großen Bühnen dieser Welt und doch gerade den wenigen hier vorbehalten war, schüttelte ich den Kopf. Dies sollte meine nächste Ahnung sein der Tausend Gesichter des Oman.