39, Teil I: Pardon
München/Madeira, November 2018.
Den Bonsaï-Wald, eine Gruppe aus fünf unterschiedlich großen Palmen, hatte ich im Spätsommer umgetopft, dabei eine offensichtlich zu fette Erde verwendend, denn aus den Stämmchen entrollten sich zum Herbst hin grotesk riesige neue Wedel, die so raumgreifend sich dem Fensterlicht zuwandten, daß ich mich gezwungen sah, das Mobiliar meines Zimmers umzustellen. Nun beschirmten mich, am Schreibtisch sitzend, die grünen jungen Palmblätter, als thronte dort eine exotische Prinzessin der Tropen aus einem 60er Jahre-Kitsch-Film unter von Sklaven stoisch geschwenkten Schattenspendern. Erst vorgestern zurückgekehrt, lauschte ich nun statt eines krachenden, tosenden, wilden Atlantiks James Blunts „Postcards“ und Alanis Morissettes „Hand in my Pocket“. Die heranbrandenden, sich sechs Meter hoch auftürmenden, Gischt verspritzenden Wellenberge, mal stahlblau, mal glänzend türkisen, waren wieder durch den stillen, alten, mittlerweile recht kahlen Nußbaum im Garten ersetzt, die funktionale Trekkingkleidung lag gewaschen und gefaltet im Schrank, während Perlen am Ohr, Guerlains Kiss Kiss Lippenstift und „Mon“-Parfüm zur aufwendigen Hochsteckfrisur von der weiblichen Künstlerseele kündeten, die sich besonders gern nach Reisen zelebriert. Ein Spagat, ein Pendeln zwischen diesen Polen: eine gewisse Zähigkeit, Sportlichkeit, Verzichtbereitschaft auf jener Seite, die für das Abenteuer steht; der Drang, mit allen Sinnen zu genießen, zu erleben und das Entdeckte anzuknüpfen an den bereits vorhandenen Erfahrungsschatz, literarisch umzuformen und sich damit erst wirklich anzueignen auf jener anderen, vielleicht „Intellektuellen“(?), beides verbunden durch die unersättliche Sehnsucht nach Freiheit und Ästhetik. Der Ozean hatte mich einmal mehr zutiefst beeindruckt, seine Macht, seine Schönheit und Beständigkeit (im Sinne einer Zeitlosigkeit), die Launenhaftigkeit, auch Gewalt, Bildgewalt, ja. Ich war sicher gewesen, dieses aufgewühlte, prächtige Wasser würde Dreh- und Angelpunkt meines Madeira-Blog-Eintrages werden, bis ich, noch unterwegs, die E-Mail erhielt.
Keine E-Mail wie 2009 in Guayaquil, Ecuador, die mit Große Trauer betitelt gewesen war und mir Übelkeit in den Bauch pumpte, und auch keine E-Mail, die eine Freundschaft beendete, wie öfter geschehen, nein, viel simpler, loser, als was soll man es bezeichnen?
Es hat mit dieser Suche nach Vorbildern zu tun, Identifikationsmöglichkeiten, in gewisser Hinsicht Seelenverwandtschaften (verwandt nicht als gesamte Existenz, sondern lediglich in manchen Aspekten, Leidenschaften, Bestrebungen). Soul Mates, wie Paulo Coelho sie nennt, jener Begriff, in den ich mich verstricken sollte unvermutet auf den Azoren 2012, als ich las auf einem fremden Arm: Head under water now I can breathe. In meinem Leben fühlte ich mich manchmal wie das zauberhaft-ätherische, unsterbliche Einhorn, das zum Schutz vor dem feuerbrünstigen Roten Stier von einem mittelmäßigen Magier in den Körper eines Menschen gesperrt wird mit all seinen Unzulänglichkeiten und Konsequenzen wie Vergänglichkeit und darüber hinaus seine Identität, sein Gedächtnis, sein eigentliches Wesen verliert. Es brauchte diesen Blog, um zu begreifen, ganzheitlich, daß es weder einen Soul Mate gegeben hat, noch je ein Einhorn. Ich möchte mich hiermit entschuldigen aus tiefstem Herzen, in völliger Aufrichtigkeit, für meine unangemessene, hartnäckige Aufdringlichkeit, für die über die Jahre verteilt gesandten Zeilen: ich bin nicht gut darin, ein unausgesprochenes Nein zu verstehen, selbst wenn es in bombastischen, neonfarbenen Lettern über mir prangt. Es tut mir leid. Nicht daß ich daran glaube, die gemeinte Person würde meine Bitte um Verzeihung je erreichen.