82, Teil VI: Tierhandlungen
Südamerika, Mai bis Juli 2009.
Die Zootierhandlung, oder wie immer man es nennen wollte, stand mitten auf dem Gehsteig. Der Händler saß auf einem Klappstuhl, die Zeitung breit auseinandergeschlagen, eine Zigarette lässig im Mundwinkel hängend. Um ihn herum stapelten sich die winzigen Käfige aus dünnen Plastikstäben und -deckeln. Darin hockten dichtgedrängt die Bewohner, Mäuse, Kanarienvögel, Meerschweinchen, Wellensittiche, Hamster, Kaninchen. Simple Kartons waren vollgestopft mit Hühnerküken. Kein Futter, kein Wasser, kein Streu in sengender Mittagshitze. Passanten in stetem Fluß zogen achtlos vorüber.
„Die armen Viecherl!“ dachte ich schockiert. (Ich war noch zu unerfahren im Erkennen von menschlichem Leid, von Hunger und Armut – wo Menschen darben, kann es freilich Tieren nicht besser ergehen.)
Indes sollte ich noch auf viele, viele solcher Läden – auf offener Straße oder in Geschäften – treffen. Hundewelpen mochten besonders begehrt sein, reinrassige wie Mischlinge lagen da in den Schaufenstern, in schlichten Glasbehältnissen, leeren Terrarien, gleichfalls ohne Nahrung, dafür häufig in ihrem eigenen Kot. Sie schliefen, was blieb ihnen anderes zu tun? Kaum umdrehen konnten sie sich, geschweige denn umeinandertollen! Ganz selten sah ich auch ausgesprochen muntere Junge, meist handelte es sich dabei um peruanische Nackthunde, die einzige eigene Rasse des Landes und seit vier Tausend Jahren hoch geschätzt. Im Idealfall besitzen sie kein bißchen Fell, was sie ihrer überhöhten Körpertemperatur von 40°C verdanken. Sie galten unter den meisten präkolumbinischen Kulturen als heilig und waren daher oft zu tönernen Gefäßfiguren rituellen Zweckes geformt worden. Sie verfügen über weniger Zähne als es das Gebiß anderer Hunde aufweist, aus dem Stand springen sie gewaltig hoch. Nun fristeten sie die erste Stufe ihres Daseins also in ungepflegten Kästen aus Glas – wie mögen die nächsten Stufen aussehen? Jedenfalls rangelten die beiden peruanischen Nackthundwelpen spielerisch und so gut es eben ging miteinander, mal stieß ihr Popo an die Scheibe, dann das Schnäuzchen, was sie aber nicht zu stören schien, sie kabbelten weiter. Sie waren nicht ganz rassegelungen, auf ihrem Kopf wippte ein Schopf üppig-strohigem, lohfarbenen Fells, wie Miniaturhyänen muteten sie an, klapprig, ein wenig faltig, die Haut grau-schwarz-braun, vielleicht keine Schönheiten – aber auf ihre Art ungemein reizend. Fast hätte ich einen davon mitgenommen.
Wenn ich alle Tiere nach Hause gebracht hätte, die mich irgendwo irgendwie unterwegs anrührten im Laufe der Jahre – die Arche Noah stünde nicht länger außer Konkurrenz…