61, Teil III: Affen
Äthiopien, Januar 2019.
Trotz materieller Misere, harter Arbeit und schwierigster Lebensbedingungen wurde viel und gern gelacht. Reiter stiegen von ihren Pferden ab, um uns die respektvolle Ehre einer Verbeugung vor jedem von uns zu erweisen. Voller Sorgfalt und Hingabe widmete man sich der traditionellen Kaffeezeremonie, für die wir Touristen gebührend bezahlten. Einmal hatten sieben Frauen ihre Bohnenvorräte zusammengelegt, um Kaffee in winzigen Tassen, mit drei, vier Mini-Schlücken geleert, bereiten zu können… In einem an dortigen Verhältnissen gemessenen reicheren Haushalt rasteten wir eine Dreiviertelstunde. Die Tochter der Familie, ein bildhübsches Mädchen von vielleicht vierzehn Jahren, trug zum Kopftuch ein aschgrau tätowiertes einfaches Kreuz mitten auf der Stirn. Ohne einander zu verstehen, mochten wir beide uns irgendwie auf Anhieb. Aus meinem kleinen Zerstäuber, griffbereit im Tagesrucksack, sprühte ich ihr ein daheim selbst gemischtes Parfüm auf die Handgelenke, Jojoba- und Geißblattöl, das herrlich (jedoch nicht aufdringlich) duftete und zugleich entspannte. Ich ließ ihr übersetzen, daß es sich um eine „deutsche“ Pflanze handelte; das Mädchen strahlte, verschwand in einem Nebenraum, um kurz darauf mit einer Jogginghose und einem Sweatshirt in Rot bzw. Blau wieder zu erscheinen, ihre „neue“ Garderobe anläßlich eines hohen, äthiopisch-orthodoxen Feiertages (gebraucht, aber in tadellosem Zustand), damit ich diese Textilien ebenfalls parfümierte. Ich kam ihrer Bitte gerne nach, mich an ihrer schieren Begeisterung erfreuend; da sage mir noch einmal jemand, Duftwässerchen entsprächen nicht dem minimalistischem Reisegedanken… Wir unterhielten uns mithilfe dieses Kommunikationsmittels einwandfrei in der Sprache der Frauen.
Weite, schroff erodierte Bergzacken mit steil abfallenden Kanten; Ibex-Steinböcke, Blutbrustpaviane, Lämmergeier, Greifen, Bienenfresser, Erzraben; Riesenlobelien, Kandelaberbäume, flechtenbehangene Baumheide, Disteln, Strohblumen, Abessinische Rosen, orange blühende Schmetterlingssträucher, 500 Jahre alte Feigenbäume; Äcker und Felder, immer wieder, in überwiegender Mehrheit: braune, trockene, falbenfarbene, dürstende Äcker und Felder.
Eine riesige Horde Blutbrustpaviane, endemisch, an dieser Stelle an Publikum stark gewöhnt, hockte auf dem Boden, den Blick immerzu nach unten gerichtet, die flinken Hände permanent zupfend: frische, junge Triebe des ausgedörrten Grases ganz dicht an der Erdkrume; man hörte dieses synchrone Reißen und Rupfen, man hörte die Tiere schmatzen, zu Hunderten, ansonsten blieb es still. Bis auf einen halben Meter kam man an die Tiere heran, so abgestumpft von Touristen waren sie bereits. Sie ließen sich nicht stören, erlaubten jedoch ebenso wenig eine weitere Kontaktaufnahme. Greifen, Zupfen, Kauen, Greifen, Zupfen, Kauen, unentwegt, immerzu. Nur die jüngsten Affenbabys tollten einander jagend über die gelbe, sonnenwelke Wiese, raufend, sich harmlos beißend, schupsend, fangend, ebenso unbeachtet von den Alten wie wir Menschengäste. Ich sprach im Schneidersitz ruhend mit dem Affen vor mir, was ihn nicht im geringsten interessierte. Kein Gurren und Loben und Schweigen halfen mir aus meiner Isolation, keine Regung zeigte mir, daß ich für ihn überhaupt existierte. Da tastete ich nach dem Gras unter mir, sortierte die zarten, frischen Sprossen aus dem harten, faserigen Teil, und reichte das begehrte, rare Grün dem Affen. Er nahm meine Gabe nicht an. Nein. Und doch: sein Gesicht war mir vollkommen zugewandt, die Augen wanderten vom Gras in meiner Handfläche zu meinen Augen und wieder zurück, wanderten hin und her, während er weitermampfte. Wir kuckten einander an, lange, ganz lange, der einzige ausgewachsene Affe, der jetzt gerade nicht konzentriert auf seine Tätigkeit auf den Boden stierte, sondern meine Augen abtastete, wie ich die seinen.