48, Teil I: Zeitehe
Soqotra/Jemen, März 2014.
Die Luft flirrte über der kargen, braun-grauen Ebene. Stoisch, gelassen, würdevoll schoben sich die Baumschirme aus dem steinigen Grund. Ihr Schatten verbündete sich mit dem Wind, Erfrischung bringend, sofern man das so nennen mochte bei vierzig Grad Celsius. Ganz dicht wagten die Schmutzgeier sich heran an unsere Picknickdecke, geduldig verharrend. Bis zu zehn Tiere waren es, ihr Flattern erklang so nah während der Landung, daß man den Flügelschlag spüren konnte. Das weiß-schwarze Gefieder und der leuchtend gelbe Kopf machten sie hübsch, was so gar nicht zum Image von Aasvögeln passen mochte. Sie kokettierten förmlich mit meiner Kamera, das Klicken des Auslösers erregte ihre Neugierde. Auf der Picknickdecke hockend, überlegte ich, was Leute wie Ulla Lohmann nun tun würden. Herumlaufen natürlich, auf der Suche nach Tieren und Motiven. Ich war – bin – nicht wie sie. Ich war müde von der Nacht ohne Schlaf, dem Flug (Flügen, drei Stück), hätte mich gerne umgezogen und gewaschen, mich eingecremt gegen die erbarmungslos herniederbrennende Sonne. Im Baumkronengeäst plapperten die Spatzen, gelegentlich zu mir herunterstierend mit ihren drolligen Stecknadelkopfaugen. Beißende Müdigkeit, zäh, gemein, quälte mich, dabei lag um mich herum urigste Landschaft. Türkisenes Meer vor verdörrtem, falbenfarbenen Gras, gefolgt von rosa blühenden Flaschenbäumen, ulkig, bauchig, die Blüten wie Lippenstift einer korpulenten, alternden Dame. Schließlich das satte Grün der Laubsterne an den Drachenblutbäumen, auch sie dezente, limettenfarbene Blütendiademe tragend.
Soqotra gehört zu einem Archipel, den man politisch zu Jemen rechnet, der aber näher an der Küste Somalias liegt. Ich erwischte damals ein winziges Zeitfenster, an dem man gefahrlos zur Insel reisen konnte. Wenngleich unsere Begleitcrew auffällig viele Witze über westliche Entführungsopfer erzählte, ein Humor, bei dem uns das Lachen doch eher im Halse stecken blieb. Auch erhielten wir auf der Ausreise Rüge von deutschen Botschaftern, die gerade zufällig auf dem Flughafen Sanaas weilten, daß wir leichtsinnig handelten mit unserer puren Anwesenheit. Aktuell findet ein Stellvertreterkrieg zwischen Iran und Saudi-Arabien dort statt, die Versorgung der zivilen Bevölkerung mit Lebensmitteln und Medikamenten ist kaum mehr zu gewährleisten. Der Jemen verhungert, wenn ihn nicht zuvor die Cholera dahinrafft, 600.000 Infizierte gab es im November 2017.
Ich habe nie wieder derart viele wundervolle, bunte, verblüffend strukturierte und geformte Muschel- und Korallenstücke entdeckt wie auf dem schneeweißen, feinen Sand Soqotras. Einen Zentimeter große, fast unsichtbare, blitzflinke Krabben wuselten in Scharen umher. Weiter zum Land hin gediehen dickfleischige, Salz tolerante Gewächse, die ganze Teppiche aus Knollen bildeten.
„Du, es gibt hier noch andere Krabben!“ meinte Oliver, mein Ehemann. Wir waren vierzehn Tage lang verheiratet. Also quasi. Für den Aufenthalt auf Soqotra sozusagen. Einer der Fahrer, ein filigraner Jüngling mit Charaktergesicht, hatte so sehr Gefallen gefunden an mir, daß er nachts gerne zu meinem Zelt kam. Damit er draußen blieb, erklärte ich Oliver kurzerhand zu meinem Ehemann auf Zeit. Außer daß wir unsere Zelte nebeneinander aufschlugen und zu zweit wanderten – was wir als Gefährten auf unseren Reisen ohnehin tun -, verlief diese Ehe keuscher als keusch, was durchaus den Argwohn unseres Fahrers entfachte. Trotzdem hielt er einen Sicherheitsabstand zu mir ein. Tagsüber einen Meter und nachts fünf…
Jedenfalls schnappte ich mir die Stirnlampe, um mich vom Camp zu entfernen. Nach etlichen hundert Metern, als Frau ist man schon manchmal geschlagen, hielt ich mich für weit genug entfernt, um mich hinter einer niedrigen, kaum hüfthohen Düne zu erleichtern, wofür ich freilich das Licht ausschaltete. Der Mond schien gelblich-grün, schwarzblaue Schatten werfend. Es war hell genug, um Teile der Landschaft zu sehen, nur eben wie verzerrt von den ungewohnten Farben und den vielen düsteren Stellen, wie das Leben einer Parallelwelt, das es schließlich irgendwie war. Es huschte. Was immer es war, es maß mehr als zwanzig Zentimeter. Schnell und irgendwie spitz bewegte es sich dicht neben mir, nein, weg von mir. Ich erschrak fürchterlich. Nur um dann loszuprusten, kauernd mit heruntergelassenen Hosen. Das also waren Olivers „andere Krabben“!
Zurück im Zelt lag ich in einer Blase aus gemütlichem Wohlgefallen. Ich war müde von der Hitze und den Eindrücken des Tages. An einem einsamen Strand auf Soqotra kuschelte ich mich in die Nachtwärme und lauschte dem lauten Raunen des nahen Ozeans. Es lullte mich in den Schlaf.