27, Teil IV: Restessen
Äthiopien, Oktober 2014.
Die Marabus thronten wie die Statuen von Flugsauriern in den Baumkronen, riesige, reglose Vögel. Einzelne schwangen sich auf, zogen majestätisch schwebend über mich hinweg. Ich setzte meinen Weg fort, der mich in wenigen Minuten vom Hotel zum See brachte, wo Fischer mit zierlichen Booten ausfuhren. Die Bedürfnisse chronischer Fußgänger wie mich wurden dort leider nicht befriedigt: Morast und Riedgräser machten mir einen Strich durch die Rechnung, nur ein kleiner vorgelagerter Weiher lud ein, kurz die Beine zu vertreten. Er war randvoll angefüllt mit gemächlich paddelnden Pelikanen! Hunderte, sie schwammen wie bei uns die Enten im Teich. Es waren herrliche, stattliche Exemplare, nicht abgetrennt mit Drahtzäunen wie im heimischen Zoo, sondern nah und unverfälscht, wenngleich reichlich träge. Am graubraunen Ufergrund pickten Kuhvögel nach imaginären Futterquellen, grünende Bäume spendeten Schatten. Ein Idyll, ein bestialisch stinkendes Idyll, der allgegenwärtige Guano müffelte erbärmlich. Ich hörte etwas Fiepen, kuckte nach unten. Ein Hundebaby, süß, ein winziger Welpe, der regelrecht schrie. Eine Mutter, die ihn säugen hätte säugen können, tauchte nicht auf. Entsetztes Mitleid wallte in mir hoch. Vielleicht war er noch zu jung… Gewiß würde er sterben. Vielleicht aber funktionierte meine aufkeimende Idee! Ich spurtete zurück ins Hotelzimmer, wo die Aluschachtel mit der unangetasteten Flugzeugmahlzeit neben dem Mülleimer stand. Ich werfe nur mit Widerwillen und in Ausnahmefällen Essen weg, konnte aber während des Nachtfluges auch nichts herunterwürgen. So kam es, daß ich es einen Tag nach meiner Ankunft in Äthiopien immer noch bei mir hatte, jedoch inzwischen leicht ranzig. Für einen Hund würde es genügen, beruhigte ich mein schlechtes Gewissen, wenn er überhaupt schon festes Fressen aufnehmen konnte… Ich würde es probieren! Ich hielt die Aluschale in den Händen, während ich erneut zum See rannte, in der Hoffnung, den Welpen noch anzutreffen. Ja, da hockte er, rührseeliger, lauter jaulend als zuvor. Und dann passierte das Drama. Erst zwei, dann drei, vier, fünf Kinder umringten mich, sie waren zwischen vier und acht Jahre alt. Sie gaben Gurrlaute von sich, zeigten abwechselnd auf die Aluverpackung und ihre Lippen. Sie bettelten mich um die Speise an… Ich mochte ihnen irgendwie erklären, daß das Essen schlecht geworden, daß es bloß noch als Hundefutter dienlich sei. Sie sprachen kein Englisch, ihr Drängen und Bitten wurde immer intensiver. Der Welpe fiepte und winselte. Die Pelikane dümpelten gelassen und zugleich königlich im Tümpel umher. Ich war in Afrika angelangt.
Ich habe keine Ahnung, was die Putzfrau am nächsten Tag mit der Aluschale verdorbenen Flugzeugmenüs im Hotelmülleimer gemacht hat.