186 Chapeau!
München, September 2021.
Ich briet die Gnocchi in Almbutter, gab frische Salbeiblätter hinzu, klein geschnittene Feigen und Pfirsichwürfel, es abschmeckend mit Rosmarin, Pfeffer. Das schnelle Gericht hatte ich mir spontan ausgedacht, darauf hörend, wonach es dem Körper gerade gelüstete, intuitives Kochen, nannte ich es früher, als es noch nicht diese Schwemme an bestimmten Vokabeln gab: Achtsamkeit, Selbstfürsorge, Nachhaltigkeit, Naturverbundenheit, Verlassen der Komfortzone und eben Intuition, abgedroschene Floskeln samt und sonders. Wer achtsam ist, muß nicht davon sprechen. Es ist einem derart selbstverständlich, daß man sich nicht verbal oder reflexiv damit auseinanderzusetzen braucht, eine eingefleischte innere Haltung, die Handlungen und Entscheidungen unbewußt prägt. Das gleiche gilt für Kreativität; die längste Zeit meines Lebens glaubte ich, es mangele mir daran. Sie war so omnipräsent, allseits begleitend, ganz ohne Atelier, Verkaufsschlager, Bewunderer, daß ich annahm, sie fehle mir. In Magazinen wurde sie umjubelt, gepriesen als Feuer der Eingebung, ja, sie wurde gehypet, ein Trara darum gemacht in den sozialen Medien, sie mußte unwahrscheinlich exzeptionell sein. Dabei ist Kreativität nichts anderes als die Gabe, a) Dinge wahrzunehmen, sie b) aus ihrem alteingesessenen Kontext zu lösen und c) zu etwas zu formen mittels Worten, Pinsel, Kamera, u.s.w., in das das Ureigene einfließt und trotzdem Bezug nimmt auf etwas Übergeordnetes (sozial, kulturell). Diese Umschreibung klingt dröge und nüchtern, doch trifft sie mir eher zu (wenn man schon eine Definition finden muß) als das semi-sakrale Getue ringsum, gepaart mit überschwenglichem Lob in Form von Likes und Kommentaren. Kreativität ist wundervoll und wichtig, gesellschaftlicher Kleber, Vermittlung über nationale Grenzen hinweg, aber müssen wir uns permanent gegenseitig bestätigen, wie toll wir sind, wie besonders, wie talentiert, weil wir eine Wand bunt streichen, ein Zimmer voller selbst gezogener Grünpflanzen haben, uns ein hübscher Schnappschuß gelungen ist?
Soll ich verraten, was ich bewundernswert finde? Mit Ehrfurcht und tiefstem Respekt verneige ich mich vor unseren Großeltern bzw. Urgroßeltern (teils bereits Ururgroßeltern), die einen perversen Krieg voll unbeschreiblicher Grausamkeiten und Zerstörungen erlebt, überlebt haben und unsere Städte, Denkmäler, Infratstrukturen, alles was Europa ausmacht, wieder aufgebaut in kürzester Zeit. Ich meine nicht allein den Tatendrang, das Anpacken, das finanzielle Stemmen, ich meine: nicht resigniert zu haben, nicht sich den Traumata ergeben, nicht im Haß stecken geblieben zu sein und in der unsagbaren Trauer. Noch eine ausgelutschte Phrase: das Wirtschaftswunder der 50er – mir ist es ein Wunder, weil ich weiß: ich hätte das nicht geschafft, ich hätte die Kraft nicht gehabt, die Energie, die Zuversicht, das Vergessen und die Vergebung, alles – alles!! – hätte sich mir eingebrannt ins Gedächtnis, das dem eines sprichwörtlichen Elefanten ähnelt. Meine eigene Wut, meine eigene Härte, die kein Verzeihen kennen, hätten mich selbst aufgefressen. Daher verneige ich mich vor diesen vorhergehenden Generationen, denen wir unseren Frieden, unseren Reichtum und Komfort in der westlichen Welt verdanken und im Grunde alles, was wir jetzt sind, bevor die Digitalisierung eingegriffen hat in Hirne, Gewohnheiten, Ansprüche. Informationen überall, aber daß es bis in die 1960er (in manchen Ländern gar 1980er!) noch keine Badezimmer als Standard im europäischen Haushalt gegeben hat oder eine Waschmaschine in den 1950ern eine halbes deutsches Jahresgehalt verschlungen, das vergegenwärtigt man sich nicht. Vielleicht weil ich es unterwegs anders kennengelernt habe in Lateinamerika und Afrika, wo Menschen täglich weite Wege auf sich nehmen, bloß um (Trink)Wasser für sich und das Vieh in (meist gelbe) Plastikkanister abfüllen zu lassen, vielleicht deshalb bin ich jedes Mal unendlich froh, daß ich bloß einen Knopf zu drücken brauche und ein Gerät mir die gesamte Plackerei mit der Wäsche abnimmt oder heißes Wasser aus dem Hahn rauscht, wenn ich duschen möchte. Auch vor ihnen verneige ich mich, den Wäscherinnen früherer Jahrhunderte und natürlich all jenen, die bis heute per Hand einweichen, schrubben, reiben, klatschen, wringen, bloß um den Dreck aus der Kleidung und den Laken zu kriegen. Ich muß sagen, mich beschäftigt das sehr, vorangegangene Kriege, hygienische Zustände, Hunger, Unterversorgung (Lebensmittel, Wärme, Freizeit, Bildung), beschäftigt mich, treibt mich um, immer wieder, ich suche mir das nicht aus; mir wäre es manchmal lieb, mich beschäftigten Likes bunt gestrichener Wände oder selbst gezogener Pflanzen oder geposteter Gerichte (wie wäre es mit Pfirsich-Feigen-Gnocchi an Rosmarin-Salbei-Butter?), der Seele wäre es wohl zuträglicher und den Gramesfalten im verkniffenem Gesicht ebenso.