180 Das andere Geschlecht, Teil I

180 Das andere Geschlecht, Teil I

München, August 2021.

Es bleibt mir unbegreiflich, weshalb Corona den allgemeinen Umstand des Sichgehenlassens mitsichgebracht hat. Warum Homeoffice bedeutet, mehr zu essen, sich weniger zu bewegen, auf Schlabberklamotte umzusteigen und aufs Herrichten zu verzichten – man tut das alles doch nicht für andere, sondern für sich selbst, seine Gesundheit, sein Wohlergehen, die Achtung der eigenen Persönlichkeit?

Nie, nicht einmal zu Schulzeiten im Mädchenkloster, habe ich zu Modemagazinen gegriffen; während der letzten vielen Monate lechze ich förmlich nach dem Erscheinen der jeweils aktuellen Madame, Vogue, Haper´s Bazaar, weil ich mich so sehr nach bewußtem modisch-stilistischen Umgang sehne (wobei dies bloß zum geringsten Teil eine Kostenfrage ist, sondern eher in Richtung Disziplin und Bildung zielt, Allgemeingüter der zivilisierten Demokratie, möchte man hoffen). Der Juliausgabe der Madame lag das Pendant für die Herrenwelt bei, Monsieur. Keine Ahnung, wie oft ich durch die Modestrecke geblättert habe, in welcher Jason Mason tragbare, zugegeben dandyhaft-verspielte Pret-à-Porter vorführt: ein Mann, den ich nicht hübsch finde aber aufgrund seiner Ausdruckskraft verdammt attraktiv, so wie mich echte, dezente (nicht aufgesetzte oder geheuchelte) Kultiviertheit im Grunde sofort einnimmt für einen Menschen gleich welchen Geschlechtes, Alters oder Aussehens.

Ebenfalls stark beschäftigte mich ein dort publiziertes Interview mit Dan Stevens, Downtown Abbey-Star (eine brillante Kostüm- und Konversationsserie voll scharfzüngiger Dialoge und historisch getreuer Kulissen, die einen über ein paar ausgeprägte Züge von Kitsch auf Seiten der Handlung großzügig hinwegsehen lassen). Stevens äußerte sich ausführlich zu seiner Rolle im deutschen Film Ich bin dein Mensch, und dies endlich ist es eigentlich, worüber ich in meinem Beitrag schreiben möchte. Dan Stevens als maßgeschneiderter Roboter, der in einer dreiwöchigen Versuchsreihe eine von zerbrochenen Beziehungen entmutigte Archäologin von seinen Qualitäten als Menschenmannersatz überzeugen soll.

Das kleinstädtische Kino hatte bereits diverse Krisen hintersichgebracht, war Besuchermangels wegen geschlossen, von einem Förderverein nach Jahren des Leerstandes wiederbelebt und mühevoll restauriert worden, ehe Corona abermals für rote Zahlen sorgte. Architektur wie Innenausstattung sprechen die Sprache des Art Déco, seit längerem meine liebste Stilepoche, Klappsitze und Wandbespannung glänzen samten dunkelblau, der Vorhang der Leinwand fältelt sich elegant weiß-schimmernd, an der schlicht stuckierten Decke spendet eine Leuchterrosette warm-festliches Licht, ich bin entzückt, das ideale Ambiente für Art House Produktionen, kleine, oft von den Massen unbemerkt bleibende Juwelen in meist langsamem Erzähltempo voll geschickter Schnitte, Winke, Anspielungen und jeder Menge Raum für persönliche Reflexion. Eine Filmkritik zu Ich bin dein Mensch werde ich hier nicht verfassen, obwohl ich ihn empehlenswert finde und Stevens auf eine extrem pointierte, niemals übertriebene Weise seine Schauspielkunst wörtlich zum besten gibt, Hochachtung vor dieser Leistung, ein Spagat zwischen Mensch (der er ja ist) und Maschine (in die er sich perfekt einfühlt). Als ich der Handlung folgte, gab ich innerlich stets der Protagonistin recht, die sich bis zum Schluß dagegen wehrt, die realistische Computerversion als perfekten Partner anzuerkennen. Je mehr Tage jedoch nach dem Kinobesuch vergingen, je mehr Zeit ich mit dem Nachdenken darüber verbracht hatte, ertappte ich mich dabei, für Stevens´ Figur eine Schwärmerei zu entwickeln, inklusive Schmetterlingen im Bauch. Ich bedarf zwar keiner hundert Kerzen im Rosenblüten bestreuten Bad und auch niemandes, der mir die Wohnung penibel ordentlich hält, für beides kann ich gut selbst sorgen. Was mich aber wirklich tief einnahm, das waren sein Charme, die Höflichkeit, sein Stil. Die Art, wie er sich vergewissernd nachhakte, weil sein programmierter Algorithmus etwas am widersprüchlichen menschlichen Verhalten nicht verstanden hatte. Seine Ruhe, seine gewählte Wortwahl, sein Interesse am Gegenüber. Er erzeugte Resonanz, vermittelte Geborgenheit, Zuverlässigkeit, Loyalität.

Wenn ich den verliebten Blick meines Hundes sehe, seine Schmusebezeugungen spüre, mich manchmal gar an der treuen Anhänglichkeit störend, dann ist diese Liebe offensichtlich, auch wenn ich weiß, daß sie in erster Linie der Tatsache geschuldet ist, daß ich für das Tier überlebenswichtig bin, daß ich es füttere, umhege, versorge und die Liebe durch dieses sich Kümmern entsteht. Trotzdem gibt mir die Liebe meines Hundes ungeheuer viel, nehme ich Anteil an seinen Emotionen, werde ich beruhigt durch das Streicheln weichen Fells, das warme Atmen, die geteilte Zeit. Ein Hund ersetzt keinen Menschen, doch er besitzt seine eigene Qualität. Was hatten sie mir alle abgeraten von einer Anschaffung! Wie das funktionieren solle mit dem Reisen, mit der Unabhängigkeit? Als könne ich nicht verantwortlich handeln und beides vereinen, die Fürsorge für ein Mitgeschöpf und mein Unterwegssein. Natürlich hat sich es verändert; Corona war die weit größere Veränderung.

Mit der Liebe ist es so eine Sache in meinem Umkreis, meiner Familie, in meinem Leben. Ich habe sie bisher erfahren als ein Konstrukt. Mittlerweile bin ich so weit, daß ich mir nur noch abstrakt vorstellen kann, daß ein Mann sich verliebt in eine Frau (daß umgekehrt eine Frau sich in einen Mann verliebt, weiß ich wenigstens aus Erfahrung). Inzwischen halte ich Liebe für eine gesellschaftliche, “systemrelevante” Lüge, eine akzeptierte Norm mit regulierender bzw. strukturierender Funktion. An Liebe im biologischen, klassischen, romantischen, tradierten Sinn kann ich nicht mehr glauben. Warum also kein Roboter – nicht die aktuell existierenden in Japan, die sogar geheiratet werden können offiziell -, weshalb nicht eine Menschenmaschine, wie Dan Stevens sie dargestellt hat? Ich fand dieses fingierte Wesen weitaus menschlicher als die meisten Personen aus Fleisch und Blut um mich herum… Lebendiger gar! Aufrichtig. Der Selbstbetrug als reine Wahrheit. Ich würde, gäbe es ihn real, ihn mir bestellen, diesen Maschinen-Gentleman und müßte wohl nicht mehr intimste Zeilen hinausschicken ins Unbekannte der Einsen und Nullen, in der lauen Hoffnung, irgendwann irgendwo irgendwie einmal Widerhall zu verursachen.

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