172 Un b/g eliebt
München, Mai 2021.
Und am nächsten Morgen dann stecken die korallenlackierten Nägel in türkisenen Einmalhandschuhen, ist das Haar alltäglich zum Zopf geflochten, kleidet mich die strapazierte, schwarze, zu große Outdoorjacke, während ich die verdreckte Einstreu aufsammle, mich wie stets wundernd, welche Mengen kleine Vögel ausscheiden können. Ich leere den Eimer auf dem Kompost, hole frische Hanfhäcksel, lege sie aus im eichenen zweistöckigen Stall. Ich stelle Wasser bereit, befülle die Futterbleche mit Getreidepellets, Kräutern, getrockneten Mehlwürmern. Die noch immer cremehell blühenden Apfelbäume beugen sich bilderbuchartig herab, japanischen Holzschnitten ähnelnd in Form und Struktur des Motivs. Miss Fischer, Dotti, Coco und Rosa picken geschäftig im Frühstück herum, gelegentlich scharrend, zwei Zwerg-Wyandotten und zwei Zwerg-Sussex in unterschiedlichen Farbschlägen, jede von eigenem Charakter, frech, neugierig, aufgeschlossen, wuselig, zögerlich, skeptisch, draufgängerisch, schreckhaft. Es gibt da diesen einen Comic, den mir meine Mutter hatte als kleines Kind häufiger vorlesen müssen, eine Schlumpfgeschichte, in der es um bös entartete, rabenschwarze und die üblichen blauen Schlümpfe ging, welche letztere sich gegen die Bedrohung wehren mußten, durch Bisse selbst in einen gemeinen schwarzen Schlumpf verwandelt zu werden und Unheil zu stiften (tiefenpsychologisch hoch interessant, oder?). Mitten in diesem Chaos tauchte ständig ein einzelner, beinahe entnervender Schlumpf auf, eine totale Randfigur, der verzweifelt sein entschwundenes Haustier suchte; in beharrlicher Regelmäßigkeit – der Gefahr um sich herum gar nicht gewahr werdend – fragte er die anderen Genossen: “Hast du mein Huhn gesehen?”
Rumpel Peng!!!, der Nachbar hat das Holzrollo herabsausen lassen, seine Art, mir mitzuteilen, was er von meinem Anblick hält. Jedes Mal, wenn ich mich etwas länger aufhalte im Garten, geschieht dies, quasi der abgewandelte Stinkefinger, der sich über meine Anwesenheit, meine Existenz mockiert. Die meisten Menschen mögen mich auf Anhieb nicht, ich bin es gewohnt. Oft ändert es sich, wenn sie mich näher kennenlernen, was wiederum selten geschieht. Um ehrlich zu sein: es ist mir egal, ich mache mir nichts daraus.
Ich habe mir jedenfalls ein Stück vom (in Wahrheit trügerischen) Dorfidyll ins Leben geholt, vier Hühner, die beschützt von einer weitläufigen Drahtvoliere über den Rasen huschen, Löwenzahn, Gundermann, Ehrenpreis, Klee rupfend, sich gegenseitig die Regenwürmer aus dem Schnabel klauen, leise vorsichhinglucksen, sich in den heuer raren Sonnenschein plattgedrückt niederlegen, die Flügel ausgebreitet dösend, ein drolliges Bild (bei den ersten Malen dachte ich, die jungen Tiere seien krank). Aus dem frisch geernteten Rhabarber backe ich Kuchen, gelegentlich kommt meine Freundin aus Kindergartentagen vorüber, um mich bei zwei, drei Runden Backgammon zu besiegen (sie würfelt ständig Pasch…). Der Regen tut dem Garten gut, der gesamten Natur, ich beschwere mich nicht über nasskaltes Wetter, sondern genieße das Gedeihen und Grünen. Oft, so oft in letzter Zeit, denke ich mir: Was habe ich es schön. Zufrieden bin ich. Nicht einverstanden mit allem und jedem, nicht im Reinen mit mir und der Welt, Einwände gibt es immer, Makel, Beschränkungen, und doch habe ich nie zuvor derart kontinuierlich und anhaltend das Gefühl gehabt, von Zufriedenheit befallen zu sein. Völlig ruhig beobachte ich meine Hennen, die herrlichen Apfelbäume und hunderten Pflanzenarten, die Vater und ich im Laufe der Jahre (Jahrzehnte in seinem Fall) zusammengetragen haben auf vielleicht 1000 Quadratmetern schlecht geschnittenen Grundes. Die Melancholie schaut vorbei, fragt mich, warum ich noch immer alleine sei und niemanden habe, gefolgt vom Kritiker, der darauf hinweist, daß man da wohl selbst die Schuld trage für und etwas ganz gewiß nicht stimmen könne mit einem, der Nachbar beweist es ja, Rumps Peng!!! rattern die schweren Holzlamellen herab. Rosa, das zutraulichste Hendl, weizenfarbige Wyandotte, hebt den Kopf, mich durchdringend anstierend. Blödmann!, sagt sie verschwörerisch und bringt mich damit zum Lachen. Ich bin zufrieden, das lasse ich mir nicht nehmen. Auch nicht von der Enttäuschung über die Erkenntnis, tatsächlich nichts gewesen zu sein als das Gespenst, Ghost on the Shore (vgl. u.a. Beitrag 160).