17, Teil II: Tropenmosaik Fortsetzung
Sri Lanka, November 2015.
Eine rot-gelb-grüne Agame, ein auf der Straße trottender, wilder Elefant, ein Fröschlein, dessen Haut exakt den flechtenversehenen Granit der Tempelgemäuer imitierte und dessen Krallenfüßchen sich schön angefühlt hatten, als ich es vorsichtig in den Händen hielt. Herzigste, süße Affenbabys und ein noch entzückenderer Wurf Hundewelpen, zehn Knutschkugeln, die mich gurren, schnalzen und quietschen ließen. Weiß-grau-schwarze Affen, seltsame Geisterwesen, in Reih und Glied auf einer antiken Steinbrüstung sitzend, hinter sich die Folie des Dschungels, vor sich die atmosphärische, alte Stupa mit Elefantenköpfen und stilisierten Lotussen verziert. Ein anderes Gebäude im Hindustil verströmte viel schlechte Energie, ich mußte den Ziegelraum mit seiner unheimlich-bedrohlichen Aura rasch wieder verlassen, flüchten ins Freie. Die Wolkenmädchen, Secco-Malereien aus dem sechsten Jahrhundert, am Löwenfelsen hingegen waren das genaue Gegenteil, leuchtend, anmutig, lockend, von hoher künstlerischer Qualität. Der meditative, komplentative Aspekt fehlte mir während ihrer Betrachtung, der Besuchermengen wegen, die mich übrigens sehr an Sri Lanka störten, europäische, asiatische, indische Touristen sowie einheimische Pilger in überstarker Zahl, ein Geschiebe und Gerufe, nichts mit hingebungsvollem Kunstgenuß, meditativer Versenkung.
Merkwürdige grüne Berge ragten zu meiner Linken empor, manche ihrer Spitzen an Haifischflossen erinnernd, überzogen von Kugelplastiken, das waren die Bäume. Es plätscherte vom Regen, die Luft war mild, angenehm. Wir waren gewandert in Begleitung und belästigt von Blutegeln, widerliche, abstoßende Viecher, von denen mich mindestens drei gebissen haben. Ihre kreisrunden Blutspuren ekelten mich, wie überhaupt ihre Erscheinung, ihre gruselige Fortbewegung. Eine weiß-pinke Nonnenorchidee prangte am Wegesrand, der überwuchert war mit Eisenkraut und orangen Wandelröschen. Eine Art bordeauxrot genetzter Kannenpflanze entdeckte ich, woanders wachte ein Baum mit unzähligen Luftwurzeln. Die Vegetation war tropisch üppig, Wasserfälle schossen raunend Bergflanken hinab, Agamen und Schlangen wärmen sich auf dem Pfad. Eine fette Assel kugelte sich zusammen, als ich sie berührte, um sogleich weiterzuwuseln mit ihren etlichen Dutzend Beinchen.
Wir besuchten weitere Tempel, ethnologisch interessant, kunsthistorisch weniger, voller Touristen, keine Orte zum Verweilen und Sinnen, wenngleich manche der Pilger (oder ganze Gruppen) Gebete anstimmten, die die Räume mit Gesängen füllten, was für kurze Momente eine erhabene Atmosphäre heraufbeschwor. Nah stand ich an zwei Makaken, sprach zu ihnen, minutenlang, bis es einem von ihnen wohl etwas zu viel wurde und er mich kurz warnend ankeifte, ein stattliches Gebiß präsentierend. Unser Guide fotografierte eine Affenmutter, an deren Bauch sich das Kleine klammerte, dabei den Blitz auslösend, woraufhin die Tiermama ihr Baby vor die Brust holte, sich von der Kamera abwendend, die Arme es schützend, besorgt abwechselnd zu ihm und dem Fotografen blickend, aufgebracht, empört – und zutiefst menschlich. Eine Sekundenbeobachtung und doch so wertvoll… Am späten Nachmittag erwarb ich an einem Stand eine wunderschöne milkaviolette-eidottergelbe Seerose, vielleicht eine „Moore“, wie ich sie aus dem Augsburger Botanischen Garten kenne. Sie lockte mich mit ihrer Pracht, ich wollte sie fühlen, ihren betörenden Duft einsaugen, süßlich-exotisch, sie nicht opfern, sondern mir schenken als Freude für wenige Stunden. Früher hätte ich sie mir verkniffen und von jemand anderem gewünscht, jetzt habe ich mir eben selbst das Gute getan; es ist zwar weniger überraschend, romantisch, seelenrührend, doch das unbestimmte Sehnen, die nagende Unzufriedenheit waren weg.
In der Stadt Kandy führten sie traditionelle, landestypische Tänze auf, die Darsteller überdeutlich eine Laientruppe, die unfreiwillige Komik zum Besten gab (z.B. wären sie desöfteren im Überschwang beinahe von der Bühne gefallen bzw. verloren sie Teile ihrer Kostüme), aber trotzdem interessant und die Mädchen bildhübsch, ihre Bewegungen grazil, der Trommelrhythmus eindringlich-ekstatisch. Ah, und während einer Wanderung stoben noch in unmittelbarer Nähe zwei große Adler auf, sie schossen aus dem Gebüsch über den rotlehmigen Pfad hinweg hinaus in den weiten Himmel.
Obwohl es sauber war, die sanitären Anlagen anständig, die Vegetation ausufernd mit herrlichen Farbkombinationen wie Goldkronen- und Flammenbaummeeren, voller knorriger Riesenbäume samt weißblütigem Orchideenbewuchs, obwohl wir etliche Tiere ausmachten, obwohl die Vögel exotisch riefen und die Grillen einlullend zirpten, obwohl also alles so war, wie es sein sollte: ich wurde einfach kein Teil dieses Landes, oder besser: dieser Reise.
Nach dem Abendessen sang unser Guide für uns, sich selbst mit der Gitarre begleitend. Er sang wie ein Engel, nie habe ich jemanden derart singen gehört als Laie. Seine Lieder waren so traurig, sein Gesang so schön, einige hatten Tränen in den Augen. Auch ich hätte gerne geweint. Beherrschte mich.