15 Straßenschild
München, Februar 2018
Ich kann nicht anders, als mich zu messen und zu verlieren bei dem Vergleich. Egal, mit wem, ob Extrembergsteiger, BBC Dokumentarfilmer, National Geographic Fotografin, alteingesessener Forscher, zeitgenössischer Autor, der Künstler im Nachbarort, die trainierte Blondine im Fitness Studio, die liebevolle Hausfrau und Mutter drei Straßen weiter: ich stelle mich in Konkurrenz dazu und muß vor mir selbst versagen. Ich sehe dann nur, wer oder was ich nicht geworden bin.
Die Wahrheit ist, objektiv betrachtet, wie man es an einem offiziellen Lebenslauf ablesen kann, daß ich nicht zu den Erfolgreichen gehöre. In einem solchen steht: Grundschule, Gymnasialzeit, Studium, alles nahtlos, direkt, ohne Umwege, ohne Sitzenbleiben, Freiwillige Soziale oder Biologische Jahre, ohne Praktika, ein stringenter Verweis zu einem Punkt – ins Nichts. Nach dem Studium: die große, neunwöchige Südamerikareise. Ein paar befristete Jobs außerhalb der elterlichen Firma: im Privatmuseum am Ammersee, in der Münchner Literaturagentur, auf zwei Antiquitätenmessen. Ansonsten: nichts. Ledig, keine Kinder. Keine Berufserfahrung, die Abschlußarbeit über antiken Diamantschmuck sehr mittelmäßig, daher die Promotion verwehrt. Keine nähere Aussicht auf Karriere, Anerkennung, Wertschätzung, Familie. Laut Lebenslauf bin ich ein chancenloses Nichts. Ein Lebenslauf: ein Blatt Papier voller Druckerschwärze. Es fällt so leicht, das Jammern auf hohem Niveau.
Äthiopien, Oktober 2014.
Der Bus karrte uns auf Wirbelsäule strapazierende Art eine ungeteerte Straße entlang. Es war eine Weile her, seit wir die letzte Ortschaft passiert hatten. Wir befanden uns noch zu Beginn der Reise, auf der ich feststellen würde: Äthiopien sollte mich faszinieren, Äthiopien sollte mir aber zugleich zeigen, was bittere Armut ist. Ein paar Kostproben der prekären Zustände konnte ich bereits sehen, Wellblechbaracken ohne Strom- und Wasseranschluß, wohl einmal an Kinderlähmung erkrankte, verkrüppelte Erwachsene, die sich auf allen Vieren fortschleppten… Mitten in der Pampa ragte plötzlich ein nagelneues Schild aus dem trockenen, rotsandigen Boden heraus, groß und prächtig, aus glänzendem, unzerbeulten Metall, rechteckig, grün, weiß bedruckt. In fetten Lettern prangte dort: Value Your Life.