132, Teil II: Kappadokiens japanische Flaggen
Türkei, Kappadokien, Oktober 2013.
Getrockneter Chilli hing zu Ghirlanden gesteckt von den Marktständen herab, im Wechsel mit gebündelten, violetten Zwiebeln. Geschwefeles Obst lag aus, Aprikosen, Datteln, bergeweise Nüsse: Pistazien und Mandeln, Sonnenblumenkerne. Pyramiden aus Granatäpfeln warteten darauf, frisch gepreßt getrunken zu werden. Die Hausmauern bedeckten hochflorige, zottelige Teppiche in lauten Farben, rot, orange, gelb, dunkelblau, jägergrün, riesigen Werbewimpeln gleich auf Käufer spekulierend. Die Dörfer waren teils gemauert, teils in den Felsen gehauen, wobei die Gebäude letzterer Art oft verlassen und der Erosion preisgegeben waren bzw. als Unterstand für Traktoren dienten oder als Stall, in dem Esel, Schafe, Ziegen vor der starken Sonne geschützt den Tag verdösten. Die Menschen wahrten höfliche Distanz, lächelten einen Gruß herüber, blieben aber ansonsten mit dem eigenen Alltg beschäftigt, der nicht darin bestand, Touristen Waren aufdrängen zu wollen, was ich als angenehm empfand. Überhaupt behagte mir die rurale, irgendwie anachronistische und doch vollkommen gegenwärtige Atmosphäre des Landstrichs sehr. Die fremde Märchenwelt leuchtender Gesteinsformationen, geschwungen, gekurvt, ausgefranst, gezackt, scharf und spitz, feminin rund, Riesenpilzen ähnelnd, Morcheln, gigantischen Riffen, diese sogenannten Feenkamine, die romantische Vorstellung von Klöstern und Wohnstätten im Bauche eines Berges, die Faszination für Höhlen, all das und mehr beflügelte meine Fantasie, wenngleich ich nicht völlig beschwingt an den Wanderungen teilnahm: das eine oder andere Gruppenmitglied erwies sich als nervtötend, insbesondere ein junger, selbstüberzeugter, zum Erbrechen besserwisserischer Journalist mit Kinderstube aus Diplomatenkreisen, der sich nach der Tour nicht einmal am Flughafen verabschiedete, sondern mit verkniffenem Mund eiligst davonzischte. Ich bin mir gewiß, daß in irgedeinem Blatt ein Artikel publiziert steht, in welchem eine Reisereportage kein gutes Haar an meiner Person in anonymisierter Form läßt – es amüsiert mich.
Jedenfalls versuchte ich, das prahlerische Geplapper auszublenden, besah mir die herbstliche Schönheit, lenkte mich in Gesprächen ab mit einem rüstigen norddeutschen Rentnerpaar, das Hand in Hand durch die Gegend schlenderte, ein rührendes Bild ohne jeden Kitsch. Immer wieder kamen wir vorüber an in den winzigsten Ortschaften gehißten, japanischen Flaggen, die vor den Fenstern angebracht waren und zuweilen im Wind flatterten. Just in dieser Woche fand das Formel-1 Rennen in Suzuka statt, ich wunderte mich erheblich über die Grand Prix – Begeisterung der Anatolen, wobei ich zugebenermaßen damals gerne den sonntäglichen Motorsport im Fernsehen schaute. Eine andere, logische Erklärung erschloß sich mir nicht.
Wir querten eine bezaubernde Schlucht, der Weg leicht und überschaubar ohne Abzweige, Engstellen, Stolpersteine; über uns der satte, zufriedene Himmel, verdeckt von Goldenen Vliesen – Birkenhaine -, um uns herum babyrosa, weiße, butterblumengelbe Felsen, gebändert, heiter. Äpfel reiften an den Bäumen aufgegebener und nun verwildernder Plantagen, es zirpten die Grillen. Es war eine leichte, anspruchslose Wanderung in sportlicher Hinsicht und doch schön: etwas, das man gut auf eigene Faust machen könnte, nicht einmal eine Karte benötigte man; man beginnt bei Punkt A und kommt bei Punkt B wieder heraus, easy. Ich ärgerte mich, daß ich dafür eine Gruppenreise gebucht hatte.
Der Zutritt zu einer der Sehenswürdigkeiten wurde uns von Wachpersonal verwehrt. Es handelte sich um eine der imposantesten Höhlenkirchen, deren Inneres üppige, byzantinische Fresken barg, berühmt, ein Wahrzeichen Kappadokiens. Limousinen fuhren vor, denen elegante, Anzug gewandete Asiaten entstiegen, begleitet von mehreren Kamerateams.
“Staatsbesuch.” sagte unser Guide. “Wir müssen eine halbe Stunde warten.”
“Aha.” meinte der Journalist wissend. “Daher die japanischen Flaggen überall.”
Der Guide schwieg zunächst. “Nein.” überwand er sich schließlich, sichtlich ringend mit seiner Antwort. “Das hier sind der mongolische Regierungschef und seine Gattin samt weiterer Delegierter.”
“Und weshalb die vielen japanischen Flaggen?”
“Nun.” Der Guide räusperte sich. “Die Schlucht, durch die wir gestern spaziert sind.”
“Verstehe ich nicht.”
“In der Schlucht gab es letzte Woche einen Vorfall.”
“Ein Unfall?”
“Nicht ganz. Zwei japanische Touristinnen, Backpackerinnen, sind vergewaltigt worden, eine konnte flüchten.”
“Und die andere?”
“Ermordet.”