128 Lachen

128 Lachen

München, April 2020.

Die freundliche Gelassenheit Jack Johnsons ist genau das, was ich momentan benötige. Seine unaufgeregte, tiefschürfende Ballade “Constellations” begleitet mich durch den Tag, während des Putzens, Yoga Praktizierens, Schreibens, Wartens auf die zurückkehrende Räson und Freiheit; The Children´s laughter sang/ Skipping just like the stones they threw.

Es gibt da dieses Foto von mir, aufgenommen zu Zeiten, als ein Film 36 Bilder barg und man es bei einem einzigen Versuch beließ, um ein Motiv festzuhalten, ein Foto, an welches ich oft denke, mutet es doch wie die Essenz dessen an, was mich bis heute ausmacht: man sieht ein auf dem Bauch liegendes Baby, das den Rücken durchdrückt, um mit versunkener Begeisterung die Gänseblümchen zu betrachten, die um die ausgebreitete, pastellene Wolldecke herum wachsen. Die Lippen sind zu einem Ausdruck des Verzückens geschürzt, die Augen lachen die kleine Pflanzenwelt vor sich an, voller Vergnügen und Selbstgenügsamkeit.

Ein Reisefreund wunderte sich über meine Großbritannienbegeisterung, fliege ich schließlich fast jedes Jahr nach England, Irland, Schottland, sehr schön müsse es dort sein, konstatierte er, zu Recht; Wales sollte mir nicht vergönnt sein, ich hatte mich gefreut auf die raue Salzluft, den reißenden Wind, die wilden Klippen und Teppiche aus blauen Hasenglöckchen. Stattdessen baue ich mir eine Sammlung monochromer Fotografie auf, widme mich politischer Lektüre, schaffe noch mehr Ordnung, als ohnehin herrscht und schwelge in Erinnerungen.

 

England, Mai 2017.

Das Standorthotel der Gartenreise befand sich in jener Stadt, in der einst Agatha Christie gewirkt hatte, Newquay. Eine asphaltierte Straße sowie ein steiler Abhang trennten das Gebäude von einem breiten Sandstrand, der regelmäßig von Wellenreitern aufgesucht wird. Der Speisesaal befand sich im Erdgeschoß, unsere Gruppe – überwiegend längst pensionierte Pflanzenliebhaber, im Gros gepflegte Damen – war an einem riesigen runden Katzentisch platziert worden, positioniert vor einem bodentiefen Fenster mit Blick auf die enge, fade Seitengasse.

Die gemeinsamen, aufgezwungenen Abendessen, in der Regel Drei-Gänge-Menüs, die sich über zwei Stunden erstreckten, mochte ich gar nicht, gehörten aber dazu zum Gesamtpaket der geführten Tour, die ich deshalb buchte, weil man auf diese Weise zu Privatgärten Zutritt erhält, die ansonsten einem Publikum verschlossen bleiben.

Eine äußerst mürrische, hagere Frau in ihren Fünfzigern mit militärisch strengem Pagenschnitt bediente uns. Mit verkniffenem Mund servierte sie mir den Cider, der warmorange im Glas funkelte. Ihr Pony war so scharfkantig wie ihre offensichtliche Ablehnung, von der wir nicht wußten, wie wir sie uns eingehandelt hatten. Ich fühlte mich also am Ende eines ansonsten gelungenen, abwechslungsreichen Tages eher unbehaglich und wünschte, mich so bald wie möglich davonstehlen zu können. Ich saß dem Fenster genau gegenüber, starrte über die ausladende Tischplatte und etliche palavernde Personen hinweg auf die saubere aber langweilige Straße.

Ein Van kam daher, verlangsamte die Fahrt, hielt an, direkt vor der Scheibe parkend. Die Tür wurde schwungvoll aufgeschoben, mehrere Männer entstiegen dem Vehikel, auf dessem Dach die Bretter festgeschnallt waren. Die jungen Herren, allesamt unter dreißig und allesamt athletisch gebaut, warfen einen Blick nach rechts, einen weiteren nach links und begannen, sich aus ihren T-Shirts und Shorts zu schälen, hinein in Neoprenanzüge. Manche hielten ein Handtuch um die Hüfte geschlungen dabei, noch verstohlener sich umschauend als die anderen. Ich saß am Tisch und brach ab vor Lachen. Ich konnte nicht an mich halten. Die Szene war zu unbeabsichtigt komisch: der in einer Runde gruppierte Haufen alter Frauen, die dunkle Ecke, in die wir verfrachtet worden waren und die Surfer, die nicht mitbekommen hatten, daß sie eine kostenlose, kleine Striptease-Show abzogen, ich lachte laut und herzlich mit Tränen in den Augen, ohne mich erklären zu können, ich zeigte bloß nach draußen. Oh, welch ein Leben kehrte in die Abengesellschaft ein! Welch ein Interesse, welch eine Anteilnahme erweckten die Jungs nicht! Vom Tumult herbeigerufen, näherte sich die sauertöpfische Bedienung, erfaßte die Situation, trat nah, ganz nah an die Scheibe heran, kurz pochend, sodaß die Surferschar sich uns zuwandte; dann geschah das Wunder: die grantige Kuh winkte hoheitlich wie Ihre Majestät die Königin und – tatschlich – lächelte verschmitzt dabei. Die Männer hingegen erkannten, daß sie sich vor dem direkten Blick von etwa zwanzig Frauen, die mehrheitlich die eigene Großmutter hätten sein können, umgekleidet hatten; nach der ersten Verblüffung kringelten sie sich mit teils rotem Kopf, wunken zurück und beeilten sich, an den Strandabschnitt zu gelangen ab auf die Wellenkämme.

Als wir am nächsten Abend den Speisesaal betraten, hatte man die muffigen, schweren, braunen Samtvorhänge zugezogen…

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