117 Spukhaft
München, November 2019.
Ich glaubte anfänglich, mir habe mein Boston Terrier-Mädel Montana auf Anhieb gefallen, weil ihr Name mich an das spanische Wort für Berge erinnerte. Mittlerweile vermute ich eher, daß es ein in Dauerschleife gehörtes Lied gewesen war, das mich stark beeinflußte; ich hatte es im Repeat-Modus gelassen, während ich etliche Blog-Einträge verfaßte. Es ist nicht mein Lieblingslied schlechthin, doch bringt es mich zuverlässig in den Flow: John Denvers Wild Montana Skies. Ich entdeckte John Denver (ebenso wie die BeeGees, Plácido Domingo, die Kelly Family und andere „Altbackene“) auf der akustischen Flucht vor den computerverzerrten Stimmen jener Radio-(Pop)Songs, die seit etwa fünf Jahren den Charakter industriell gefertigter Fast Food-Nahrung angenommen haben; alles ähnelt einander so stark, daß ich „neue“ Hits von alten kaum unterscheiden kann, geschweige denn einzelne Interpreten. Die breite Musikszene, sie gibt sich schal, gleichförmig, überzuckert oder versalzen, chemisch aufbereitet, tot gespritzt. Man weiß auch als Laie, daß irgendwo irgendwie etwas verdammt schief läuft, wenn man sich urplötzlich nach Lady Gaga zurücksehnt, deren Ergüsse mittlerweile auf den ehemaligen Oma/Opa-Schlager-Sendern gespielt werden…
Ich erwähne John Denver auf dem Fotografie-Reise-Blog, weil er Opfer eines Flugzeugabsturzes geworden ist vor vielen, vielen Jahren – für mich als Flugangst geplagter Mensch eine Horrorversion. Gänsehaut überläuft mich daher jedes einzelne Mal, wenn ich eines seiner erfolgreichsten und schönsten Stücke zu Ohren kriege, Leaving on a Jet Plane. Manchmal ist das Schicksal ungeheuer…, ja, was? Grausam? Makaber? Tragisch? Pathetisch? Jedenfalls fühle ich mit mit diesem Mann, den ich nie gesehen, getroffen habe und der mich lange nach seinem letzten Atemzug unterhält und inspiriert. Es bleibt mir abstrakt, unfaßbar, daß Werke und Gegenstände einen Verstorbenen überdauern können, ohne ihn existieren, fortbestehen – und zudem weiterwirken in einem (fremden) Lebenden. Ich finde diese Tatsache, die man gemeinhin „historisch“ nennt oder „Erbe“ (im nicht finanziellen Sinn) regelrecht spukhaft, erscheint mir wie ein Gruß aus der Geisterwelt. Aber genau dieses ja ist das Wesen von Kultur, Kunst, Fotografie, Menschlichkeit, daß es – zwar stets im Wandel begriffen – doch eine gewisse Form der Kontinuität birgt.