111, Teil II: Gärten
Marokko, Juni 2013.
Seit Studententagen liebte ich Botanische Gärten, klapperte sie ab wie eine Süchtige, erfreute mich an der Vielfalt der Formen, Texturen, Nuancen und den teils poetischen, teils amüsanten Namen, mit denen die Züchtungen bedacht worden sind: eine dunkle, beinahe schwarz samtene Tulpe „Arabian Night“, eine pinke Strohblume „Hot Bikini“, eine auffällige Dahlie „Harlekin“, ein reinweißer Rhododendron „Persil“ und so weiter. Spätestens in den gläsernen Gewächshäusern war ich zu Hause angekommen, wenn ich den warmen, satten Duft nach Erde, Blattfeuchte und Pflanzenfülle einsog, der mir Heimat, Ursprung, Geborgenheit bedeutete, einen Urinstinkt anrührend. Ich tauchte ein ins Chlorophyllpuzzle, war ein Steinchen, das ins Mosaik der Welt paßte… Ich lernte dort im Botanischen Garten auf lauschigen Bänken für die Prüfungen, schrieb (unveröffentlichte) Romane und Erzählungen oder Briefe an Freunde, tankte Sonne, bis meine Haut goldbraun wurde, schlenderte die Wege entlang, wie es die Barockkönige in ihren Lustparks getan hatten Jahrhunderte zuvor, genoß die Ruhe inmitten der quirligen Stadt, plauderte mit Rotkehlchen und Eichhörnchen, folgte den Jahreszeiten, mopste hin und wieder von der Weinraute im Gemüseareal, um sie für den abendlichen Eintopf als abwechslungsreiche Würze zu verwenden – ich war glücklich in jener Zeit.
So landete ich freilich auch während des Marrakesch-Aufenthaltes im Jardin Majorelle, wo ich die Spiegelreflex endlich einweihte, die sechzehn Monate lang unangetastet in ihrer Verpackung ausgeharrt hatte (vgl. Beitrag 6). Ein französischer Künstler, der Salonmaler Jacques Majorelle, war einst Besitzer und ab 1924 Schöpfer des Gartens gewesen, in welchem er auch lebte und wirkte. Er war dem Maghrebinischen verfallen und hortete leidenschaftlich Kunsthandwerk, etwa den traditionellen Silberschmuck der Beduinen-Frauen. Nach seinem Ableben geriet der die orientalische Exotik romantisierende Maler ein wenig in Vergessenheit, der Garten verwilderte, verwahrloste, ehe der berühmte Modedesigner Yves Saint Laurent und dessen Lebensgefährte Pierre Bergé das Anwesen 1980 aufkauften und wieder instandsetzten; eine beeindruckende Kakteensammlung beherbergt es nun, Palmen, heitere Bougainvilleaen in Magenta und Weiß und Orange. Tiefblau und Zitronengelb glasierte, große Keramiken in Krugform, als Bänke oder Becken setzen markante Akzente. Ich stieß auf runzelige, Warzen tragende Kröten zu meinen Füßen, lauschte den aufflatternden, gurrenden Tauben im Schatten spendenden Geäst über mir. Die Kamera klickte satt und wohltuend voll, ich lernte sie gerade mit Begeisterung kennen. Hallo Sasa – so taufte ich sie, denn Namen und Worte sind mein Schlüssel zu den Dingen.
Mittlerweile ist dem Komplex des Jardin Majorelle ein großartiges Ziegelgebäude angefügt worden, das ein Yves Saint-Laurent – Museum beheimatet, und auch in der Altstadt Marrakeschs hat man weitere charmante, in Designmagazinen besprochene Gärten neu angelegt – beides für mich Gründe, bald zurückzukehren.